Neue Ungerechtigkeit

Sidonia Küpfer | 
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Sidonia Küpfer

Die gute Nachricht vorweg: Das Volk kann am 24. September über die Reform der Altersvorsorge abstimmen, und diese enthält ­einige wichtige Anpassungen. Dazu gehört die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule von 6,8 auf 6,0 Prozent. Ein unpopulärer, aber überfälliger Schritt.

Die gute Nachricht vorweg: Das Volk kann am 24. September über die Reform der Altersvorsorge abstimmen, und diese enthält ­einige wichtige Anpassungen. Dazu gehört die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule von 6,8 auf 6,0 Prozent. Ein unpopulärer, aber überfälliger Schritt. Dass für Frauen und Männer heutzutage dasselbe Referenzalter für die Pensionierung gelten sollte, ist ebenfalls richtig. Über beide Entscheide verlor in den letzten Wochen kaum mehr jemand ein Wort. Das dürfte sich aber im Hinblick auf die Volksabstimmung nochmals ändern.

Damit sind wir allerdings auch schon am Ende der Lobgesänge, denn die Reform ist vor allem ein Verschieben der Probleme auf die nahe Zukunft.

Ursprüngliches Ziel aus den Augen verloren

Manchmal lohnt es sich, nochmals auf die Anfänge zu blicken: Bundesrat Alain Berset (SP) ist 2013 angetreten, um nach einer Serie von Abstimmungsniederlagen den Reformstau bei der ­Altersvorsorge zu überwinden. Die erfreuliche Entwicklung, dass wir Menschen immer älter werden, stellt die Rentensysteme in der westlichen Welt vor Finanzierungsprobleme. Drei Optionen bieten sich an: 1. Man kürzt die Renten. 2. Man sorgt über höhere Beiträge für mehr Geld in den beiden Rententöpfen. 3. Man zahlt länger ein, erhöht also das Rentenalter. Als Ziele formulierte der Bundesrat damals: «Die Reform sorgt dafür, dass das Leistungsniveau der Altersvorsorge erhalten bleibt, dass die 1. und 2. Säule langfristig ausreichend finanziert sind und dass die Leistungen von AHV und ­beruflicher Vorsorge den geänderten Bedürfnissen entsprechen, insbesondere in Bezug auf die Flexibilität beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand.» Während wir die letzten Punkte vorderhand erreichen, gelingt das wichtigste Vorhaben, die Renten langfristig zu sichern, nicht: Wird diese Reform per 1. Januar 2018 eingeführt, so ist das Umlageergebnis (Einnahmen der AHV minus Rentenauszahlungen) bereits 2027 wieder negativ. Wir kaufen uns also neun Jahre, in denen wir die AHV aus den Reserven finanzieren. Das Demografieproblem, dass weniger Berufstätige eine wachsende Anzahl Pensionierte finanzieren müssen, ­lösen wir nicht nachhaltig.

Kommen wir zum Sündenfall. Viel wurde bereits über die AHV-Erhöhung um 70 Franken gestritten. Es soll das positive Schlagwort im Abstimmungskampf werden, von einem Zückerchen ist die Rede. 70 Franken tönt sympathisch nach einem Znacht zu zweit im Restaurant, es scheint auf den ersten Blick auch nicht unanständig viel. Nur: Diese 70 Franken pro Monat ge­nerieren jährliche Mehrausgaben von 1,37 Milliarden Franken. Damit sind die Einsparungen von 1,2 Milliarden Franken, die durch das höhere Rentenalter der Frauen entstehen, bereits wieder ausgegeben.

Diesen AHV-Zustupf sollen nur Neurentner bekommen. Oder nochmals konkret: Die heutigen Pensionierten bekommen nicht mehr Geld – und, Pardon, zum Glück nicht. Denn Sinn und Zweck der Reform ist es sicherzustellen, dass auch künftige Generationen noch eine AHV haben. Die heutigen Rentner müssen aber andererseits durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer den Zustupf mitfinanzieren.

Rentenausgleich und noch ein teures Zückerchen

Sogar wenn man die Entscheidung mitträgt, dass die Rentenverluste von 12 Prozent in der beruflichen Vorsorge in der AHV kompensiert werden sollen – was nicht selbstverständlich ist –, so widerspricht es doch jeglichem Gerechtigkeitssinn, dass die Generation der 45- bis 65-Jährigen sowohl eine ­Besitzstandsgarantie für die 2. Säule als auch noch den AHV-Zustupf von 70 Franken erhält. Eine Generation, die – anders als unsere heutigen Rentner – bereits mehrheitlich im BVG-Obligatorium (1985 eingeführt) gross wurde; die fürs Alter sparen konnte.

Dass das heutige Rentenniveau bewahrt werden sollte, war von Anfang an eine Prämisse dieser Reform. Rentenabbauprojekte gelten beim Stimmvolk als chancenlos. Dass das Parlament unter diesen Voraussetzungen nicht rein nach versicherungsmathematischer Lehre vorgeht, ist verständlich. Nicht aber, dass aus einer Stabilisierungsvorlage ein Rentenausbau für eine Generation von 20 Jahrgängen geworden ist. Sie führt umgehend zu neuem, hohem Handlungsdruck. Und ob dann die Generation der heute unter 45-Jährigen nicht gleich nochmals an die Kasse kommt, ist heute mehr als ungewiss.

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