Elektroschock

Zeno Geisseler Zeno Geisseler | 
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Zeno Geisseler.

Woher kommt eigentlich unser Strom? Das ist eine Frage, die für viele Konsumenten sehr wichtig ist. Sie ist aber erstaunlich schwierig zu beantworten.

Nicht einmal jene, welche den Strom an die Endkunden verkaufen, also die Elektrizitätswerke, wissen so genau, woher ihr Strom stammt. Eigentlich wollen sie es auch gar nicht so genau wissen. Die Gewissheiten der Naturgesetze sind mit den ökologischen Versprechungen, welche die Werke als verlängerter Arm staat­licher Energiestrategien vermitteln, nur bedingt kompatibel.

Im «Dialog» mit Stromkunden geht es schon lange nicht mehr darum, einfach sicherzustellen, dass das Licht angeht, wenn man den Schalter drückt. Es geht vielmehr darum, den Leuten Geschichten zu erzählen. Geschichten, in denen dem Strom Eigenschaften zugeschrieben werden, die er gar nicht besitzt. Rein technisch ist es ja so, dass Leute, die in der gleichen Nachbarschaft leben, alle plus/minus den gleichen Strom beziehen. Deshalb sitzen ganze Quartiere im Dunkeln, wenn es im Umspannwerk brennt oder wenn mal ein Baum auf eine Leitung fällt. Der Strom sucht sich den Weg des geringsten Widerstandes, und dieser Weg führt im Wesentlichen vom Kraftwerk zur nächsten Steckdose. Wer nicht gerade auf Selbstversorgung umstellt, kann daran nichts ändern. Es kommt, was kommt.

Die Elektrizitätslieferanten erzählen aber eine andere Story: Sie bieten jedem Kunden an, seinen Strommix individuell auszuwählen – natürlich mit entsprechenden Mehrkosten. Wer etwa EKS-«Optimalstrom» kauft, dem wird ein Strommix aus zwei Dritteln Wasserkraft, 30 Prozent Solarstrom und 3 Prozent sonstigem gefördertem Strom versprochen. Wer «Normalstrom» bezieht, hat immerhin noch 97 Prozent Wasserkraft. Nachbar A könnte also Normalstrom beziehen, Nachbar B ­Optimalstrom. Eine saubere Sache, aber physikalisch unmöglich. Strom ist keine Gewürzmischung, die man nach Belieben zusammenstellen kann. Die Nachbarn beziehen den gleichen Strom, egal, welchen Mix sie mit dem Werk vereinbart haben.

Wo ein Unterspannwerk brennt, nützen Zertifikate auch nichts

Und weil Strom keine Gewürzmischung ist, ist auch die Naturstrombörse, wo der Toni aus Trasadingen der Stefanie aus Stein am Rhein seinen Solarstrom verkaufen kann, unehrlich. Wer Solarpanels auf dem Dach hat, der produziert Strom. Was nicht für den Eigenbedarf abgezweigt wird, fliesst ins Netz. So weit, so gut. Aber die Stefanie aus Stein bezieht eben nicht wirklich Trasadinger Solarstrom, wenn sie an der Naturstrombörse einkauft. Sie kauft ein Zertifikat, mit dem sie, rein auf dem Papier, Solarstrom erwirbt. Es ist problemlos möglich, seinen ganzen Jahresstrombedarf mit solchen Zertifikaten zu decken. Aber das ist Augenwischerei. Wenn das Umspannwerk in Steffis Nachbarschaft in Flammen aufgeht, dann gehen bei ihr die Lichter aus. Da nützen ihr Tonis subventionierte Solarpanels auch nichts, und die Zertifikate sind höchstens zum Anfeuern im Cheminée zu gebrauchen. Wer reinen Sonnenstrom einkauft, sollte sich auch fragen, woher der Strom eigentlich stammt, wenn die Sonne untergegangen ist.

Auch wenn das EKS behauptet, dass es 0,0 Prozent Atom- oder Kohlestrom einkauft, dann stimmt das nur für die Zertifikate. Gerade im Winter würde die Stromversorgung ohne Bandenergie aus den Kernkraftwerken, auch ausländischen, zusammenbrechen. Es fliesst sehr wohl Atomstrom durch Schaffhauser Leitungen, er ist aber nicht mehr deklariert.

Was Eier aus dem Grosshandel mit Strom zu tun haben

Man stelle sich vor, ein Teigwarenhersteller würde so handeln wie die Stromzulieferer: Für Pasta braucht es Eier, und der Hersteller würde Eier unbekannter Herkunft im Grosshandel einkaufen. Weil er keine Ahnung hätte, woher die Eier stammen, würde er einem Biobauern am anderen Ende des Landes das Versprechen abkaufen, dass dieser faire Eier produziert. Tatsächlich bei ihm anliefern müsste der Biobauer die Eier nicht, der Pastaproduzent brauchte nur dessen Bestätigung. Dann würde der Teigwaren­hersteller mit seinen Eiern in die ­Produktion gehen. Man sähe keinen Unterschied. Erst ganz am Schluss würde ein kleiner Teil der Charge in Packungen abgefüllt, auf denen versprochen würde, dass die Pasta ausschliesslich aus Bio-Eiern hergestellt worden sei. Würden Sie diese Pasta kaufen?

Angenommen, ein Teigwarenhersteller würde so handeln wie die Stromzu­lieferer. Würden Sie die Pasta kaufen?

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