Vergangenheit und Zukunft der Schweiz

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Symbolbild: Pixabay

Zu «Lokalbornierte Urschweizer», SN vom 28. 1.

Pentti Aelligs Kolumnen zum Verhältnis Schweiz/EU verursachen bei mir immer Kopfschütteln. Mit seinem Kommentar in den SN vom 28. Januar hat er sich indessen (wieder einmal) selbst übertroffen. Dieser darf nicht unerwidert bleiben.

Er beginnt mit einer Schilderung der Schweizergeschichte, die als SVP-Geschichtsmärchen für Kinder taugen mag, aber mit der wirklichen Geschichte nicht das Geringste zu tun hat. Und dann kommt, wie zu erwarten, die EU, der böse, zentralistische supranationale Überwachungsstaat, der nicht gerade den Weltuntergang, aber, was für Rechtsnationale fast dasselbe ist, das Ende der «langen schweizerischen Erfolgsgeschichte» bringen würde. Aelligs Beurteilung der EU entspricht der Wirklichkeit so wenig wie seine Schweizergeschichte. Zugegeben, die EU ist kein vollkommenes Gebilde, sie hat Fehler wie jedes Menschenwerk. Aber sie ist seit dem Ende der «pax romana» im 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung die am längsten dauernde und erfolgreichste europäische Friedens- und Rechtsordnung. Über 70 Jahre Frieden und Rechtsstaatlichkeit gab es vorher noch nie. Die EU steckt zwar zurzeit in einer Krise, aber sie hat schon viele Krisen überwunden und wird auch diese überwinden.

Die Schweizer standen der europäischen Einigung von Anfang an gleichgültig oder negativ gegenüber. Sie bauten nach Kriegsende lange Zeit wie meines Wissens kein anderes Land weiter Bergfestungen, ­Panzersperren und Luftschutzkeller, schnell vergessend, dass nicht die Neutralität und die Armee sie aus den Klauen Hitlers befreit hat, sondern die Sowjetarmee und die Westalliierten mit Millionen von Toten. Das übrige Europa packte das Pro­blem anders an, vernünftiger und erfolgreicher: Mit einem Zusammenschluss. Und es klappte (siehe oben). Aelligs SVP ist aussenpolitisch dem Landigeist treu geblieben. Der Übervater Blocher brachte es schon vor Jahrzehnten in einer Rede fertig, die Befürworter eines EU­ Beitritts der Schweiz mit den Hitler- und Stalin­anhängern von anno dazumal gleichzusetzen und sie als Landesverräter hinzustellen. Und jetzt wird einfach aus dem hohlen Bauch heraus behauptet, die Mehrheit des Bundes­rates wolle die Schweiz an die EU «anbinden». Vier von sieben Bundesräten sind also nach SVP-Sprach­regelung Landesverräter. Es geht hier um eine von der EU verständ­licherweise gewünschte Vereinfachung der komplizierten Vertragsverhältnisse Schweiz/EU. Es stehen tatsächlich unter anderem auch die automatische Übernahme der EU-Gesetze und Gesetzesänderungen zur Diskussion. Nur sind die schwierigen Verhandlungen über dieses Rahmenabkommen noch längst nicht abgeschlossen, was Aellig nicht hindert, die für die Schweiz schwerstwiegende Variante als bereits ­beschlossene Sache hinzustellen und den vier Bundesräten, die sich nach Kräften für die Interessen der Schweiz einsetzen, in die Schuhe zu schieben.

Im Übrigen: Wenn wir schon wirtschaftlich von der EU profitieren wollen, müssen wir ihr eben auch hier oder dort entgegenkommen und nicht erwarten, dass sie unsere Sonderwurst- und Rosinenpickerhaltung einfach immer schluckt. Hinzu kommt – und das ist meines Erachtens der wichtigste Punkt –, was oft übersehen wird, nicht nur von Aellig, dass wir die meisten EU-Regeln aus praktischen Gründen freiwillig übernehmen, weil wir mehr als die meisten EU-Mitglieder mit Europa wirtschaftlich verbunden sind. Da die allerwenigsten Bundesgesetze vors Volk kommen, merkt die Bevölkerung gar nicht, was alles EU-konform geregelt wird. Was also Aellig als Ende der freien Schweiz ansieht, passiert tagtäglich unter der Bundeskuppel in kleinen Raten. Wir schaffen uns gewissermassen langsam selbst ab.

KLAUS TANNER
Schaffhausen

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