Neu formiert in alter Besetzung

Eva-Maria  Brunner Eva-Maria Brunner | 
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Eva-Maria Brunner über zurückgewonnene Zweisamkeit.

Ich radle in der Dämmerung nach Hause. Die Luft ist getränkt vom Duft der blühenden Bäume, welche wie rosarote und weisse Wolken in den Gärten stehen. Ich komme von einer Lesung und einer «Nachbereitung» in der Kammgarnbeiz. Spontan zur Mittagszeit entschieden, schnell eine literaturaffine Freundin aufgeboten und einen schönen Abend verbracht. Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre der logistische Aufwand dafür viel grösser gewesen.

Oft so gross, dass ich mich gar nicht aufraffen konnte. Ist mein Mann zu Hause, um die Kinderbetreuung zu übernehmen? Haben die Grosseltern Zeit? Ist es mir wert, die Ausgaben des Abends mit dem Lohn für die Babysitterin zu verdoppeln? Heute muss ich höchstens noch mit Juniors Frage rechnen, ob ich Döner spendiere, da ich ja nicht koche.

«So richtig vermisst werde ich nicht mehr. Die neue alte Freiheit kommt auf leisen Sohlen zurück.»

So richtig vermisst werde ich nicht mehr. Die neue alte Freiheit kommt auf leisen Sohlen zurück. Die Sonntagnachmittage gehören wieder mir und meinem Mann. Meist zieht es uns in die Natur. An dieser Stelle habe ich bereits einmal darüber geschrieben, dass uns auf den Sonntagsspaziergängen oft nur noch der jüngere Sohn begleitet. Mittlerweile sind wir zum Duo geschrumpft. Das eröffnet neue Möglichkeiten: mit dem Randenbus in die Höhe und das Nebelmeer geniessen, ohne dass ein Teenager einen Lätsch zieht oder sich wundert, warum man bei Temperaturen um den Gefrierpunkt an den nackten Knöcheln friert. Wir sind wieder zu zweit. Haben Zeit, Gedanken zu Ende zu denken und Sätze zu formulieren, ohne unterbrochen zu werden.

Es können Themen besprochen werden, ohne dass ein Jugendlicher, der vordergründig durch Kopfhörer nichts mitbekommt, plötzlich einen Kommentar abgibt oder genau dann nach Details verlangt, wenn man etwas eigentlich nur mit dem Partner verhandeln wollte. Eine Thermoskanne Kaffee und die Reste vom Zopf, mehr braucht es nicht. Den Lunchboxen, Feuchttüchern, Wechselkleidern und Fussbällen, die früher die Rucksäcke füllten, trauere ich nicht nach.

Zurück im Kajak

Letzten Sonntag waren wir mit dem Kajak auf dem Rhein. Dies taten wir in der Prä-Familien-Ära oft und gerne. Aber nach 16 ​Jahren Unterbruch musste ich erst wieder Vertrauen in mich und das Boot gewinnen. Doch es trug. Diese zurückgewonnene Zweisamkeit muss auch zeigen, wie sie trägt. Man hört von Paaren, die nach dem Auszug der Kinder schmerzlich anerkennen müssen, dass nicht nur die Kinder, sondern auch die Gemeinsamkeiten als Paar ausgezogen sind. Um sich auf das Leben als Familie vorzubereiten, findet man zahlreiche Ratgeber, kann Kurse besuchen.

Was es auslöst und wo die Herausforderungen liegen, wenn man sich wieder zurückbewegt in einen Zustand, der nicht mehr derselbe wie vor den Kindern ist – sein kann! –, darüber lernen wir nur wenig. Geduld, Offenheit und Neugier sind bestimmt nicht verkehrt. Reden hilft. Wer sind wir nun? Was wollen wir? Wir geniessen unsere Sonntage jedenfalls sehr, sie lassen mich Luft holen zwischen anstrengenden Wochen und fühlen sich wie kleine Auszeiten an. Manchmal ertappe ich mich bei Tagträumen, in denen ich Ferien plane, welche wir zu zweit verbringen werden. Keine Jagd nach angesagten Sneakerläden, WLAN-Abdeckung nicht als oberstes Kriterium eines gelungenen Aufenthalts.

Die Kehrseite der Medaille

Aber ich wäre nicht ich, würde ich nicht auch bei diesem Thema zwei Seiten sehen. So schön mehr Spontanität oder Zeit zu zweit auch ist, die Freude ist bittersüss. Es schwingt Abschied mit, eine Endgültigkeit, die ich auch betrauere. Nie wieder Enten füttern, das Zügli in Stein dreht seine Runden ohne uns. Der Rucksack ist nicht mehr gefüllt mit schönen Steinen und super Stecken. Schlangenbrot für zwei ist doof.

Und nie fühle ich mich so alt und weiss nichts mit mir anzufangen, wie wenn ich am Samstagabend Pizza und einen Film vorschlage (mein Mann versucht seit zwei Jahren, dem Nachwuchs vergeblich den «Club der toten Dichter» schmackhaft zu machen), und neuerdings nicht nur die Tochter Besseres vorhat. Nein, nun trifft sich auch der Sohn lieber nochmals mit Freunden im Quartier oder zockt in seinem Zimmer. Man darf mich also gerne samstags zu Spässen jedweder Art anstiften. Ich habe nichts Besseres vor.

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