«Die 500 Kilometer waren mir zu wenig»

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Melissa Tempini auf dem Dovrefjäll, einer weiten Hochebene, die auf dem Pilgerweg von Hamar nach Trondheim in fünf Tagen überquert wird.Bild zvg

Melissa Tempini pilgerte im Sommer in Norwegen von Hamar nach Trondheim. Die Dachsemerin hat dabei weder vom Wandern noch vom Alleinsein genug bekommen.

VON ALFRED WÜGER

Sie ist wieder da: Melissa Tempini, die 20-jährige Studentin aus Dachsen, die eine Pilgerreise von Hamar nach Trondheim, dem früheren Nidaros, zu dem dortigen Dom, dem eigentlichen Pilgerziel, unternommen hat. Dort angekommen, habe sie den Dom, wie es den Pilgern vorgeschrieben ist, dreimal umrundet. «Schweigend und betend habe ich das gemacht. Ich war megafroh, dass ich gut angekommen war.»

Dauerregen und Baden im Bach

Probleme habe es auf der Reise eigentlich keine gegeben, sagt Tempini. Aber rund 500 Kilometer zu Fuss, das muss man doch durchstehen können. «Für die Strecke, die ich gegangen bin, bräuchte man mit dem Auto sieben Stunden, mit dem Flugzeug vielleicht eine. Ich brauchte dafür einen Monat. Das gibt einem ein ganz anderes Raumgefühl.»

Am Start in Hamar galt es für die junge Frau erst einmal, Schuhe zu kaufen. «Die alten, das sah ich erst jetzt, waren kaputt. Eine Sohle hatte sich gelöst.» Dann aber ging’s los, und abends um zehn Uhr baute Melissa Tempini ihr Zelt auf, kroch hinein und schlief sehr gut. Die ersten fünf Tage marschierte sie allein bis nach Lillehammer. Als sie dort in der Kirche den Stempel für den Pilgerpass holen wollte, kam eine andere junge Frau um die Ecke mit rundem Pilgerhut und Wanderstöcken. Sie war ein Jahr jünger als Melissa Tempini, kam aus Hamburg, und die beiden jungen Frauen setzten ihren Weg nun gemeinsam fort. Dabei war die ursprüngliche Idee von Melissa Tempini gewesen, den ganzen Weg allein zu gehen. «Ich würde es mir auch zutrauen, aber zu zweit ist es lustiger, man kann schlechte Momente besser überwinden.» Zum Beispiel tagelangen Regen, wo nichts trocknet in der nassen Kälte. Das Wandern verändere einen, sagt Melissa Tempini, man komme in einen anderen Rhythmus. «Zum Beispiel war ich manchmal in den Supermärkten, wo wir unterwegs einkauften, fast überfordert von der Hektik der Leute und dem Riesenangebot.»

Eine weite, karge Landschaft

Und dann wieder unterwegs: Klare, kalte Bergbäche, wo die Pilgerinnen baden und die Kleider waschen konnten. Der Höhepunkt der Reise war – buchstäblich – das Dovrefjäll. «Es war der Hammer», sagt Melissa Tempini. «Diese Weite, diese karge Landschaft.» Fünf Tage brauchten sie, um die Hochebene zu überqueren. «Teilweise sind wir bewusst jeder für sich gelaufen. Ich hatte genügend Zeit, in mich hineinzuhorchen und nachzudenken.» Aber es sei schwer, bei einem Gedanken zu bleiben, denn sechs Stunden Wandern pro Tag sei intensiv, dann komme am Abend das Auspacken, Essen, Schlafen. «Um 22 Uhr ging ich ins Bett, um 7 in der Früh ging’s weiter.» Wenn das Wetter zu schlecht war, klingelten die jungen Pilgerinnen einfach an den Türen abgelegener Gehöfte und fragten nach einer einfachen Möglichkeit zum Übernachten.

Nicht an die Grenze gekommen

Nun ist Melissa Tempini wieder im Alltag angekommen. Es sei nicht einfach, gibt sie zu. «Manchmal wünschte ich, ich wäre wieder unterwegs.» Im Konfirmandenlager der Kirchgemeinde Dachsen erzählte sie neulich ihre Geschichte. «Viele konnten sich nicht vorstellen, freiwillig 500 Kilometer zu Fuss zurückzulegen. Aber für mich sind 500 Kilometer zu wenig.» Nicht überraschend also, dass Melissa Tempini im nächsten Sommer wieder loszieht. «Ich habe in Norwegen einiges gelernt und habe mein Pilgerziel erreicht. Aber was das Alleinsein anbelangt, bin ich noch nicht an meine Grenzen gekommen.»

Auf ihrer Reise hat Melissa Tempini einen Blog verfasst. Er ist öffentlich und kann auf Facebook unter «Melissas Abenteuer» gelesen werden.

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