«Ein Quartier neu denken»

Daniel Jung | 
Lesenswert
Noch keine Kommentare
«Man kann wohl sagen, dass die Breite ein ­Filetstück darstellt», sagt Stadtplaner Marcel ­Angele. Bild: Michael Kessler

Der Schaffhauser Stadtplaner will auf der Breite eine stärkere Verdichtung – aber nur so viel, wie zum gewachsenen Quartier passt. Für das Museum im Zeughaus hat es künftig keinen Platz mehr.

Wie soll die Vordere Breite baulich weiterentwickelt werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Testplanung Vordere Breite, welche die Stadt Schaffhausen durchgeführt hat. Ende Mai wurden die Beiträge der drei Planungsteams vorgestellt sowie die Synthese der Stadtplanung, welche die vielversprechendsten Ansätze kombiniert. Die Ideen haben auch Kritik auf sich gezogen – unter anderem in den SN. Zu den Plänen äussert sich nun Stadtplaner Marcel Angele.

Der Syntheseplan der Schaffhauser Stadtplanung zur Testplanung Vordere Breite. Grafik: Stadtplanung Schaffhausen/SN

Herr Angele, in einem Leserbrief schrieb AL-Kantonsrat Matthias Frick: «Das Filetstück Breite in einen weiteren zentrums­losen, nichtstädtischen Siedlungsbrei – nach dem völlig überholten Konzept ­‹Gartenstadt› – zu überführen, betrachte ich als absolut töricht.» Was sagen Sie zu ­dieser Kritik?

Marcel Angele: Trotz der umfangreichen ­Planungsarbeiten, die in den vergangenen Jahren schon gelaufen sind – PASS und Zukunftswerkstatt Breite –, befinden wir uns derzeit in einer frühen Planungsphase. Dass die Siedlungsentwicklung möglichst nach innen stattfinden soll, ist aber auch für uns ein wichtiger Grundsatz. Die Schaffhauser Bevölkerung hatte im März 2013 deutlich Ja gesagt zum neuen Raumplanungsgesetz. In der Folge sind wir gemäss dem kantonalen und dem kommunalen Richtplan angehalten, die Vordere Breite als geeigneten Wohnstandort zu entwickeln. Wichtig ist für uns dabei, die ganze Stadt im Blick zu haben. Im städtischen Richtplan Siedlung haben wir aufgezeigt, wo wir stärker verdichten möchten und wo dies eher moderat geschehen soll. Transformationsgebiete, wo eine stärkere Verdichtung angestrebt wird, sind oft ehemalige Arbeitsplatzgebiete in den Tälern. Paradebeispiele sind hier die Gebiete Ebnat West, Mühlental oder Mühlenen am Rhein.

In der Breite ist also eine Verdichtung ­geplant, aber nur in einem geringeren Mass?

Ja. Die Breite ist ein Spezialfall unter den Transformationsgebieten. Man kann wohl sagen, dass sie ein Filetstück darstellt. Im Unterschied zu den Transformationsgebieten in den Tälern geht es hier primär um Wohnnutzung. In den bestehenden Wohnquartieren der Stadt stehen viele Einfamilien- und Reiheneinfamilienhäuser, die attraktiv und gefragt sind. Aber es fehlt ein komplementäres Angebot anderer Wohnformen. Es würde der Stadt Schaffhausen guttun, wenn wir die Vielfalt der Angebote im Bereich Wohnen erhöhen könnten, mit Generationen-, Atelier- oder Cluster-Wohnungen. In der Breite besteht die Chance, ein ganzes Wohnquartier zu entwickeln und nicht nur einzelne Gebäude. Hier möchten wir ein Quartier neu denken können.

Ein Quartier neu denken: Welches sind hier die wichtigsten Leitlinien?

Mit unserer Synthese sagen wir, wo wir bauen möchten, mit welcher Dichte und Nutzung. Wir sagen noch nicht, wie wir bauen möchten. So weit sind wir noch gar nicht. Es ist deshalb noch zu früh, um schon von «Siedlungsbrei» zu sprechen oder von einer Gartenstadt. Es ist vorgesehen, für die bauliche Gestaltung nochmals ein Konkurrenzverfahren durchzuführen, weil uns die bauliche und aussenräumliche Qualität sehr wichtig ist. Jetzt geht es primär darum, die Baufelder richtig zu positionieren und zu programmieren, damit die Breite als Quartier auch künftig gut funktioniert, die Bebauung, die Freiräume und der Verkehr.

Wie wichtig ist dabei das Konzept der ­Gartenstadt?

Der Begriff der Gartenstadt stammt aus England, Ende des 19. Jahrhunderts. Ebenezer Howard reagierte mit dieser Idee auf die Probleme der grossen Industriestädte in England. Diese waren dicht und intensiv genutzt, unter bedenklichen hygienischen Bedingungen bezüglich Licht, Luft und Ausstattung. Viele Menschen lebten in unsäglichen Wohnverhältnissen. Deshalb waren unter anderem rund um London neue, kleinere Städte vorgesehen, um die Vorteile von Stadt und Land zu kombinieren. Es ging damals auch um sozialreformerische Anliegen wie die Vermeidung von ­Bodenspekulation und Eigenständigkeit. Darum geht es auf der Breite nur bedingt. Was umgangssprachlich mit Gartenstadt gemeint ist – eine durchgrünte Stadt –, das ist für die Breite sicher zentral.

Alt Stadtbaumeister Ueli Witzig sieht Potenzial für eine höhere Ausnützung der Grundstücke. Warum sind Sie hier eher ­zurückhaltend?

In Zürich-Schwamendingen zum Beispiel wird derzeit die Ausnützungsziffer zum Teil von 0,7 auf 1,4 erhöht – und es wird weiterhin von Gartenstadt gesprochen. Auf der hinteren Breite sind heute die meisten Häuser zweistöckig, was einer Ausnützung von 0,35 entspricht. Wir sehen für die Baufelder auf der Vorderen Breite eine Ausnützung von 0,7 vor, was dreigeschossige ­Gebäude ermöglicht. Das ist eine moderate Erhöhung, abgestimmt auf das bestehende Quartier.

Ueli Witzig sagt konkret: «Vor dem Belair und dem Zeughaus würde ich sechsstöckige Zeilenbauten begrüssen.» Warum geht man nicht gleich einen Schritt weiter?

Wir haben im Rahmen der Testplanung mit den Planungsteams und im Begleitgremium viel diskutiert. Dabei sind wir zum Schluss gekommen, dass höhere Blockrandbebauungen nicht zum Charakter der Breite als Gartenstadt passen. Diese Typologie wäre auf der Breite fremd. Wir wären nicht gut beraten, wenn wir uns für die Breite am Blockrand orientieren würden. Würden wir auf der Vorderen Breite sechsstöckig bauen, ginge das Verbindende verloren. Der Schritt hin zu einer Ausnützung von 1,4 wäre einfach zu gross.

Jürg Sulzer, alt Stadtplaner von Bern, ­kritisierte in den SN, dass die Testplanung zu wenig Verantwortung gegenüber einer sparsamen Bodennutzung zeige. Stimmt das?

Im Richtplan Siedlung haben wir ausgewiesen, dass die Stadt Schaffhausen von heute rund 36'500 Einwohnern auf bis zu 50'000 Einwohner wachsen könnte – im bestehenden Siedlungsgebiet. Das ist möglich dank den ausgewiesenen Transformationsgebieten und mit einer moderaten Verdichtung in den bestehenden Wohngebieten. Für dieses beachtliche Wachstum ist es nicht nötig, die Breite viel stärker zu verdichten als in der Synthese angedacht. Wir berücksichtigen bei der Inneren Verdichtung jeweils die Qualitäten der bestehenden Quartiere. In dieser Gesamtschau ist es sinnvoll, auf der Breite bei einer Ausnützung von 0,7 zu bleiben.

Mit der von Ihnen geplanten Verdichtung wäre es möglich, dass gut 1200 zusätzliche Menschen auf der Breite wohnen könnten.

Das gilt, wenn man die Baufelder im Norden und im Süden bebaut. Im vorderen Bereich, also im Süden, handelt es sich um Wohn- und Gewerberaum für rund 520 Personen.

Jürg Sulzer hat zudem bemängelt, dass die Grüngestaltung im Synthesebericht «überdimensioniert und eher willkürlich» sei. Wird dem Grünraum zu viel Bedeutung beigemessen?

Nein. Zur Breite gehört heute auch das Erlebnis von Weite. Diese opfern wir ein Stück weit, um im vorderen Teil zentrumsnahen Wohnraum zu schaffen. Die Weite bleibt rund um die Allmend bestehen, aber nicht mehr direkt beim Kreisverkehr. Einen grosszügigen Grünraum planen wir zwischen der Stadterweiterung im vorderen Teil der Breite und den öffentlichen Nutzungen im hinteren Teil – Schule, KSS und Psychiatrie. Somit rückt der Grünraum auf der Breite stärker ins Zentrum und ist für alle auf kurzem Wege erreichbar. Wir sprechen von einem grünen Band. Die Qualität der Aussenräume ist ein wesentlicher Bestandteil der Breite, auch bezüglich Akzeptanz der Quartierentwicklung.

Ist es nicht bedauerlich, die Weite beim Breite-Kreisel aufzugeben?

Wenn man sich in Schaffhausen nicht auskennt und zum Breite-Kreisel fährt, dann hat man zunächst das Gefühl, dass die Stadt hier aufhört, was ja nicht stimmt. Diese Weite ist eine Qualität, aber es ist die Frage, wie sie in den Quartieralltag einbezogen wird. Gemäss meiner Einschätzung werden die offenen Flächen beim Kreisel abgesehen von den temporären Nutzungen wie Zirkus und Messe nur ­ wenig genutzt. Wenn hier gebaut wird, wird die Weite eingeschränkt – es geht aber keine attraktive, funktionierende Parkanlage verloren, wie sie etwa bei der Breitenau besteht.

Für Diskussionen sorgen die Pläne zur Überbauung auf dem Areal der heutigen Neustrasse und die damit verbundene ­Versetzung der Freistrasse: Wieso ist das ein wichtiger Teil der Synthese?

Die drei Planungsteams haben ja sehr unterschiedliche Arbeiten abgeliefert. Worin sich aber alle einig waren, war das Ziel, dass die Mitte des Quartiers möglichst vom Durchgangsverkehr entlastet werden soll. Es ist erstrebenswert, den Durchgangsverkehr möglichst auf die Nord- und Rietstrasse zu verlegen. Wir erwarten zudem, dass der Galgenbucktunnel hier eine gewisse Verkehrsreduktion bringen wird. Vor diesem Hintergrund entstand das Ziel, den Verkehr zur Nordstrasse über die Frei­strasse zu führen. Die Idee ist, dass wir den inneren Bereich der Vorderen Breite verkehrsberuhigt gestalten können. Zudem können wir die Steigkirche, die sich heute in einer Insellage befindet, stärker ins Quartier einbinden. Hier ist in Abstimmung mit der Kirche ein Quartierzentrum vorgesehen. Somit entsteht ein grosses, zusammenhängendes Baufeld mit entsprechendem Gestaltungsspielraum, das nicht vom Verkehr zerschnitten wird.

Ist das nicht zu aufwendig?

Wir bauen keine komplett neue Strasse, die Leistungsfähigkeit der Frei­strasse müsste lediglich ausgebaut werden. Es ist aber nachvollziehbar, dass die unmittelbaren Anwohner diese Massnahme kritisch beurteilen.

Können Anwohner mit Entschädigungen rechnen, wenn eine Strassenführung zu ihren Ungunsten verändert wird?

Bei zusätzlicher Lärmbelastung ist der Verursacher zu Massnahmen verpflichtet. Eine Entschädigung für allfällige Wertänderungen von Grundstücken ist aber nicht zu erwarten.

Ebenfalls für grosse Diskussionen sorgt der Vorschlag, das u-förmige Kasernen­gebäude abzureissen. Jürg Sulzer sagt: «Schlussendlich ist es wohl eher eine ­planerische Fehlleistung, den Abriss der Kaserne vorzuschlagen zugunsten neuer und anonym wirkender Allmenden.» Wieso steht die Kaserne auf der Abschussliste?

Die Kaserne steht auf keiner Abschussliste. Zu Beginn der Testplanung stand die Überlegung, welche bestehenden Bausteine der Vorderen Breite zwingend zu erhalten sind. Dazu gehören unter anderem die Sportfelder, wozu ausserdem ein klarer politischer Auftrag vorliegt. Ebenfalls sollen die temporären Veranstaltungen wie Zirkus und Messe weiter auf der Vorderen Breite möglich sein. Die Kaserne wurde als nicht zwingend zu erhalten eingestuft, auch aus der Perspektive des Denkmalschutzes. In der Folge wurde der Standort des Museums nicht als Bedingung vorausgesetzt, es könnte auch anderswo betrieben werden. Das Quartier sollte auch ohne das Museum funktionieren können, weshalb die Breite nicht um das Museum herum entwickelt wurde. Dass für das Museum viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wurde, ist jedoch wertzuschätzen.

Die Kaserne muss nun weichen, damit die sogenannte Allmend – das heutige Herbstmesse-Gelände – Richtung Zeughaus ­verlegt werden kann?

Ja, in der Synthese der Testplanung ist dies so vorgesehen. Die heutige Dispo­sition, bei grösseren Veranstaltungen die Fläche über den Strassenfächer hinweg zu nutzen, weist einen provisorischen Charakter auf. Wenn sich nun aber die Möglichkeit bietet, diese auf das mittlere Feld zu konzentrieren, ist das attraktiver und nut­zerfreundlicher. Das Zeughaus-Gebäude möchten wir behalten, als Abschluss der Allmend und als Scharnier zwischen dieser und den Sportplätzen. Darin sollen entsprechende Service-Angebote für die Sportplätze und die temporären Veranstaltungen untergebracht werden.

Das Museum im Zeughaus ist ein wichtiger Verein, der auch politisch gut vernetzt ist. Warum stösst man diesen Verein jetzt schon so vor den Kopf?

Uns ist bewusst, dass die Interessen auf der Breite unterschiedlich sind. Die Testplanung soll zunächst einmal unabhängig von einzelnen Partikularinteressen sein. Unser Ziel ist es, für die Stadt und die Bewohner der Breite städtebaulich eine möglichst optimale Ausgangslage zu schaffen. Der politische Interessenausgleich wird folgen – aber er war nicht der Ausgangspunkt. Es geht nicht darum, das Museum zu vertreiben, sondern darum, den zur Verfügung stehenden zentrumsnahen Raum der Vorderen Breite quartiergerecht zu entwickeln und ein attraktives Wohnumfeld ergänzt mit Dienstleistungen anbieten zu können.

Kann die Stadt sicherstellen, dass das ­Museum im Zeughaus auch künftig eine Ausstellungsfläche hat?

Es haben diesbezüglich vor der Testplanung schon Gespräche stattgefunden, verschiedene Lösungsansätze wurden diskutiert. Zu berücksichtigen ist, dass der Verein als Mieter und nicht als Grundeigentümerschaft agiert.

Die Frist für die Rückmeldungen aus der Bevölkerung wurde heute ­verlängert. Wird Ihr Briefkasten derzeit überflutet?

Nein, die Rückmeldungen halten sich im überschaubaren Rahmen. Es gibt teilweise aber heftige Reaktionen, auch in den Medien. Schriftlich begründete Rückmeldungen haben wir bisher rund 25 erhalten. Die Arbeit, diese mit Sorgfalt zu sichten und auszuwerten, lohnt sich. Im weiteren Verlauf des Planungsprozesses stehen Änderungen in der Bau- und Zonenordnung, und dafür braucht es politische Mehrheiten und die Zustimmung der Bevölkerung. Zurzeit ist es wichtig, die Diskussion breit zu führen und möglichst viele Rückmeldungen mit einzubeziehen.

In welche Richtung gehen die Rück­meldungen?

Inhaltlich liegen sie zum Teil weit auseinander. Auf der einen Seite stehen Wortmeldungen, welche das Wachstum grundsätzlich hinterfragen und daran zweifeln, ob es überhaupt noch zusätzlichen Wohnraum braucht. Auf der anderen Seite steht die Forderung nach noch mehr Verdichtung und sechsstöckigen Blockrand­bebauungen. Hier müssen wir sorgfältig abwägen.

Was sind die nächsten Schritte?

Der Stadtrat wartet gespannt auf die eingegangenen Rückmeldungen. Die Stadtplanung wird diese strukturiert und kommentiert an ihn weiterleiten. Danach obliegt es dem Stadtrat, welche Einwendungen berücksichtigt werden. Es ist der Baureferentin Katrin Bernath, aber auch dem gesamten Stadtrat sehr wichtig, bei der Entwicklung der Vorderen Breite detailliert informiert zu werden. Nach Auswertung der Einwendungen ist die Erarbeitung einer städtebaulichen Vertiefungsstudie vorgesehen. Diese soll unter Beizug von Vertretern des Begleitgremiums und einem Planerteam die Synthese konkretisieren. Es müssen Vorschläge bezüglich der Zonierung und Ausnützung, Aussenraumgestaltung und Verkehrsführung festgeschrieben werden. Die Vertiefungsstudie ist die Basis für den Rahmenplan, der behördenverbindlich sein wird und der Anpassung der Nutzungsplanung dient. Aufgrund des Rahmenplans lassen sich dann auch die geschaffenen Werte der Grundstücke berechnen. Das Ausweisen dieser Mehrwerte ist von Bedeutung, weil die vorgeschlagenen Massnahmen ja auch Kosten nach sich ziehen.

Wann kommt diese Vertiefungsstudie?

Wenn diese bis Ende 2020 vorliegt, sind wir gut unterwegs.

 

«Was umgangssprachlich mit Gartenstadt gemeint ist – eine durchgrünte Stadt –, das ist für die Breite ­sicher zentral.»

«Das Quartier sollte auch ohne das Museum im Zeughaus funktionieren können.»

Ist dieser Artikel lesenswert?

Ja
Nein

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren