Wer nicht anruft, macht sich strafbar

Schaffhauser Nachrichten | 
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In den vergangenen Wochen wurden in der Altstadt zwei Jugendliche brutal überfallen. Wir haben zwei Experten der Selbstverteidigung und die Polizei gefragt, wie man sich am besten schützen kann.

von Kay Uehlinger und Daniel Zinser 

Es ist eine Meldung die aufhorchen lässt, welche die Polizei an diesem Montag verschickt. Ein 19-Jähriger wird inmitten der Altstadt überfallen, mit einem Messer bedroht und ausgeraubt. Bereits zwei Wochen davor wurde am praktisch gleichen Ort ein Jugendlicher brutal überfallen. Die Polizei schreibt in der Meldung von Montag auch von Zivilcourage, welche sie in diesem Fall vermisst hätte. Obwohl mehrere Personen beim Vorfall in unmittelbarer Nähe unterwegs waren, reagierte niemand auf die Hilfeschreie des jungen Mannes. Doch wie soll man sich überhaupt gegen eine mit einem Messer bewaffnete Person wehren. Wir haben mit zwei Menschen gesprochen, die das wissen sollten. Nathalie Strassmann und Ferdi Hutter waren zusammen über 15 Jahre bei der Schaffhauser Polizei tätig, beherrschen mehrere Kampfsportarten und geben heute unter anderem auch Selbstverteidigungskurse. Wir haben die beiden in ihrem Trainingscenter im Schaffhauser Mühlental besucht. 

Das Messer ist gefährlicher als die Pistole 

Schnell wird klar, dass die beiden in Sachen Selbstverteidigung einiges drauf haben. Bei den vorgezeigten Übungen, kommt das Auge fast nicht nach, so schnell folgen Schläge und Tritte aufeinander. Trotzdem sind sich die beiden Krav-Maga-Spezialisten einig: Wenn sie mit einem Messer bedroht werden würden und es der Täter nur auf Bargeld oder Handy abgesehen hätte, würden sie diese Dinge jederzeit und ohne zu überlegen rausrücken. «Das Messer ist als Waffe in einer solchen Situation gefährlicher als eine Pistole», erklärt Ferdi Hutter. Auch sie beide würden die Flucht ergreifen, wenn ein Kampf nicht unausweichlich sei, ergänzt Strassmann und stellt sich mit dem Plastikmesser in der Hand zur nächsten Übung auf. «Wenn es aber um das Überleben geht, gibt es da schon einige Möglichkeiten», erklärt Hutter und hat seiner Sparringpartnerin blitzschnell das Messer aus der Hand geschlagen.

Ein Telefonanruf wäre das Mindeste 

Zurück zum Überfall am Sonntagabend und zur von der Polizei vermissten Zivilcourage. Grundsätzlich gilt, ist ein Täter bewaffnet, sollte man nicht einschreiten. Haben die Passanten also falsch gehandelt? «Wir haben uns einfach erhofft, dass mindestens eine Person bei uns angerufen hätte», sagt Patrick Caprez, Mediensprecher der Schaffhauser Polizei. Das war nicht der Fall. Die Schaffhauser Polizei nahm erst mit der Aussage des Opfers Kenntnis vom Vorfall an der Schwertstrasse. Trotzdem könne nicht bewiesen werden, ob die Passanten in dieser Situation nicht richtig gehandelt hätten. «Das können wir nicht überprüfen. Wir waren ja zum Tatzeitpunkt nicht vor Ort», sagt Caprez. Ein solcher Raubüberfall könne in Sekundenschnelle vorüber sein oder man achte sich nicht und denke sich nichts Schlimmes dabei. «Wie das Opfer aber mitteilte, hat es um Hilfe geschrien, deshalb hätte mindestens eine Person ihr Smartphone zücken können.» Wer wegschaut und einfach weitergeht ohne etwas zu unternehmen, der macht sich durch «Unterlassene Hilfeleistung» strafbar. Das sei aber schwierig zu beurteilen: «Wäre am Sonntagabend zufällig eine Patrouille vorbeigelaufen, wäre es ja nicht ihre primäre Aufgabe gewesen, Personen zu entdecken, die keine Hilfe leisteten», erklärt Caprez. Mit dem Aufruf in der Medienmitteilung wollte man den Leuten kein schlechtes Gewissen einreden. «Vielleicht ärgert sich eine Person jetzt im Nachhinein, dass er oder sie der Polizei nicht Bescheid gegeben hat», sagt Caprez. So würde er oder sie in einer vielleicht ähnlichen Situation in Zukunft anders reagieren. Ob sich das Opfer mit seinen Hilferufen richtig verhaltet hat, kann Caprez nicht sagen: «Man solle sich, subjektiv betrachtet, vorsichtig verhalten und nichts versuchen, um sich selbst oder andere damit in Gefahr zu bringen». Man solle auf jeden Fall nicht den Helden spielen. «Es ist zu hoffen, dass man auch in einem solchen Ausnahmefall wie am Sonntagabend realisiert, dass das Leben und der Körper mehr Wert haben, als ein Smartphone oder eine Tommy-Hilfiger-Kappe.»

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