Aus Liebe einen anderen ins Gefängnis gebracht

Regula Lienin | 
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«Es tut mir schrecklich leid, was ich getan habe», sagte die Frau. Bild: Selina Wassmer

Die Falschaussage einer 29-Jährigen hat dazu geführt, dass ein Mann 23 Tage zu Unrecht in Untersuchungshaft sass. Es handelt sich dabei um das schwerste neben weiteren Delikten. Es tue ihr schrecklich leid, sagt die Frau heute.

Eine junge Frau stand gestern gleich wegen zehn verschiedener Delikte vor dem Schaffhauser Kantonsgericht: von der falschen Anschuldigung über Tätlichkeiten bis zum Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz – eine bemerkenswerte Anhäufung für jemanden ohne Vorstrafe. Unter dem Einfluss von Marihuana und Amphetaminen hatte sie auch an jenem Tag im Februar 2019 gestanden, der den Höhepunkt ihres Höllenritts markiert. In einer Wohnung im Klettgau kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen drei Männern, in deren Verlauf einer von ihnen einen lebensbedrohlichen Messerstich in den Bauch erlitt. Zugestochen hatte der damalige Freund der Beschuldigten, die sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. Doch statt bei der Wahrheit zu bleiben, vereinbarte das Paar, den dritten Anwesenden zu bezichtigen. Dies, weil der mutmassliche Täter bedingt vorbestraft war und ihm eine Gefängnisstrafe gedroht hätte. «Sie hat aus Liebe so gehandelt», sagte ihr amtlicher Verteidiger Samuel Nadig vor Gericht. Laut Staatsanwalt Andreas Zuber ging es in «Richtung psychische Abhängigkeit».

Blutspuren beseitigt

Die Falschaussage hatte für den zu Unrecht Bezichtigten 23 Tage Untersuchungshaft zur Folge. Die 29-Jährige war deshalb im abgekürzten Verfahren auch wegen Freiheitsberaubung angeklagt. Mögliches Strafmass für das Delikt: bis zu 20 Jahre. Im vorliegenden Fall handelte es sich aus Sicht der Staatsanwaltschaft um ein mittelschweres Verschulden. Die Frau hatte mit ihrem damaligen Freund Blutspuren beseitigt, das Messer versteckt und an der falschen Anschuldigung während dreier Einvernahmen festgehalten, obschon sie von der Inhaftierung des Dritten wusste. Als strafmindernd wurde der «enorm hohe Gruppendruck» eingestuft und ihr umfassendes Geständnis. Der Vorfall der Tatnacht habe dank ihr doch noch aufgeklärt werden können. Ihr damaliger Freund ist mittlerweile verstorben.

Vor Gericht bekannte sich die IV-Bezügerin kaum hörbar zu den ihr vorgelesenen Anklagepunkten. Im Fall einer geringfügigen Hehlerei intervenierte sie kurz – der Sachverhalt stimme so nicht ganz genau, aber sie akzeptiere ihn. Es schien, als wolle sie das Kapitel abschliessen. Ihre Zustimmung fand auch das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmass: eine bedingte Freiheitsstrafe von 18 Monaten, eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 30 Franken sowie eine Busse von 1000 Franken.

Dass angesichts der Anzahl Verfehlungen das Strafmass nicht höher ausfiel, erklärt sich mit deren Schwere: So waren mehr als die Hälfte der 15 erfassten Vorfälle Schwarzfahrten in einem Bus oder der Bahn. Zugute wurde der Frau zudem gehalten, dass sie für ihre beiden kleinen Kinder der einzige Bezugspunkt ist. Insgesamt herrschte vor Gericht ein Konsens darüber, dass sie eine reelle Chance hat, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Angefangen hatte es unter schwierigen Bedingungen: mit einer heroinabhängigen Mutter und Heimaufenthalten.

Fremdplatzierte Kinder

Die Strafkammer des Kantonsgerichts kam dem beantragten Strafmass nach. «Das ist keine Gefälligkeit, sondern eine echte Strafe», sagte die Vorsitzende Andrea Berger-Fehr an die Beschuldigte gerichtet. Diese darf sich in den nächsten zwei Jahren nichts zuschulden kommen lassen, sonst muss sie die Strafe absitzen und die Geldstrafe bezahlen. Ohnehin wird die Frau noch länger an ihre Fehltritte erinnert werden, muss sie doch zusätzlich mehrfach Schadenersatzzahlungen leisten und die Verfahrens- und Anwaltskosten übernehmen.

«Es tut mir schrecklich leid, was ich getan habe», sagte die Frau. Sie habe viele Fehler gemacht und inzwischen gemerkt, dass es ihr ohne Drogen besser gehe. Mit dem alten Umfeld habe sie gebrochen. Auch beruflich will die 29-jährige Hausfrau aktiver werden und nicht mehr «nur zu Hause herumsitzen». Momentan absolviert sie deshalb ein Praktikum als Kleinkindererzieherin. Am glücklichsten sei sie, wenn sie an den Wochenenden ihre Kinder sehe. Diese sind derzeit in einem anderen Kanton fremdplatziert.

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