Zuhören statt schreien

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Robin Blanck Schaffhauser Nachrichten
Robin Blanck. Bild: Selwyn Hoffmann

Ein neuer Umgangston macht sich bemerkbar: Die Beleidigungen sitzen locker und es wird zunehmend ­ge- und beschimpft. Robin Blanck über die Notwendigkeit einer sachlichen und fairen Debatte.

 

Das Gespräch mit der schwedischen Dame auf dem Oberdeck einer Stockholmer Fähre hatte damit begonnen, dass sie die Schweizer Mundart erkannt hatte, die ihr nach acht Jahren in Basel vertraut war. Nach der ersten Kontaktaufname wurden Lob und Anerkennung über das jeweils andere Land ausgetauscht, es war ein freundlicher Smalltalk zwischen Angehörigen neutraler Staaten. In einem Punkt war die Dame aber ganz entschieden: «Die Schweizer sagen, wenn ihnen etwas nicht passt­ – das tun die Schweden nicht, sondern gehen dem Streit lieber aus dem Weg.» Erst beim zweiten Anlauf wurde klar, was sie meinte: Gemünzt war die Aussage auf die politische Debatte, die wir ständig austragen. Auf die dauernde Auseinandersetzung mit den Meinungen unserer Mitmenschen.

Der Ton ist fast ständig am Entgleisen, das Urteil rasch gefällt und in seiner vernichtenden Härte unversöhnlich und abschliessend.

Die schwedische Reisebekanntschaft hat recht: Ohne Unterlass sprechen wir über kontroverse Fragen und beziehen Stellung in Debatten, sagen unserem Gegenüber die Meinung oder bekommen sie gesagt, mal etwas offener und unverblümt, dann wieder etwas gewunden und mehr der Subtilität verpflichtet.

Das Gebot zum Gespräch ist Aufgabe und Segen zugleich

Das alles mutet auf den ersten Blick anstrengend an – und tatsächlich ist es das auch: Harmonie, auch die oberflächliche, ist viel leichter zu ertragen als Dissens, denn der Verzicht auf den Widerspruch erspart oft die kraftraubende Auseinandersetzung. Aber: Die Schweizerinnen und Schweizer haben tatsächlich viel zu diskutieren. Allein die politischen Abstimmungen und Wahlen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene halten uns permanent auf diskursivem Trab, von den zahlreichen übrigen Themen einmal ganz abgesehen. Will heissen: Wir sollten nicht nur, wir müssen miteinander sprechen. Dieses Gebot zum Gespräch ist ein Segen und bringt uns voran, es ist ein Grundpfeiler unserer auf Debatte und politischen Konsens aufgebauten Gesellschaftsordnung. Doch dieser Grundpfeiler steht nicht mehr so sicher, er nimmt Schaden.

Vernichtung statt Austausch

Statt einer lebendigen Kontroverse dominieren Beissreflexe: Äussert sich ein Politiker ungebührlich, ungeschickt oder auch einfach unintelligent, wird sogleich sein Rücktritt gefordert. Die Abstimmung über die Billag-Gebühren oder eine Revision der Steuergesetzgebung: Sofort geht es nicht mehr um eine Einzelfrage, sondern um das Überleben des Landes. Ein Pferdezüchter, der seine Tiere schlecht behandelt: Sofort ist jeder Tierhalter ein mut­masslicher Verbrecher oder zumindest ­ unter Verdacht. Vorgemacht wird uns das auch in der politischen Debatte: Bundesräte werden als «Praktikanten» ver­unglimpft oder gleich mit Autokraten gleichgesetzt, der «Hetzer» sitzt inzwischen überall locker im Mundwerk, das gilt auch für Nazivergleiche. «Volksverächter» oder auch das «unschweizerische Verhalten» haben es zur Salonfähigkeit gebracht. Egal ob Doppeladler-Diskussion, #metoo, Flüchtlingsthema, Islamdebatte oder demonstrierende Menschen in Chemnitz: Der Ton ist fast durchgehend am Entgleisen, das Urteil rasch gefällt und in seiner vernichtenden Härte unversöhnlich und abschliessend.

Mehr Kommunikation, aber gleichzeitig weniger Verständigung

Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist durchaus erwünscht, dass präzise und mit starken Argumenten um die Sache gerungen und der Ton dabei auch einmal härter wird. Störend ist aber, dass Meinungsverschiedenheit oft kein Ausgangspunkt einer Debatte, der Startpunkt für die Suche nach ­einer Lösung oder einem gemeinsamen Nenner mehr sind, sondern bereits der Endpunkt der Diskussion. Wir kommunizieren zwar –­ technologischer Fortschritt sei Dank ­– ausgiebiger und lassen alle ständig an unserem Leben teilhaben. Das hat aber nicht etwa dazu geführt, dass die Qualität unserer Diskussionen zugenommen hätte, das Gegenteil ist der Fall.

Widerstehen wir der Versuchung, das Gegenüber bei Meinungs­verschiedenheiten zum Erzfeind zu stilisieren, sondern hören wir wieder vermehrt zu.

Denn statt mit den neuen Möglichkeiten in zivilisierter Form über wichtige Anliegen zu sprechen, absorbiert dort ein Meer aus Nichtigkeiten unsere Aufmerksamkeit: der Schnappschuss von der jüngsten Gebirgswanderung, das lustige Bild von der Katze auf dem Sofa oder gern auch das Foto vom Rindsbraten. Gleichzeitig wird auf politische Themen hoch emotional und mit grober Vehemenz reagiert. Angeheizt vom Tempo der elektronischen Kommunikationstechnik wird die Zeit für eine sachliche Einschätzung – was ist passiert, ist es wichtig, und was bedeutet es? –­ immer kürzer, und viele lassen diesen Zwischenschritt ganz weg. Und dann wird munter drauflosgehauen, beleidigt und verteufelt. Die Sozialen Medien sind längst zu Kriegsgerichten geworden. Als Brandbeschleuniger wirkt dabei eine Personalie: Donald Trump. Sein Auftritt auf der Politbühne ist weniger wegen des vertretenen politischen Programms schädlich als vielmehr wegen der unablässigen ausgestossenen Provokationen, die ihrerseits besonders abschätzige Reaktionen hervorrufen.

Trump feiert einen heimlichen Sieg über seine erbittertsten Gegner

Mit seinem Stil befördert er das Ungebührliche und etabliert es als neuen Standard. Dieser wird nicht nur von seinen Befürwortern aufgenommen und kopiert, sondern vor allem auch von seinen Gegnern, die unbewusst eine Komplizenschaft mit Trump eingegangen sind. Indem man den streitbaren Präsidenten andauernd abkanzelt, mit demütigenden Namen versieht und unter der Gürtellinie angreift, kühlt man sich zwar kurzzeitig sein Mütchen und kann sich als besonders harter Kritiker in Pose werfen, eigentlich aber schwenken genau jene Kreise, die den Präsidenten bekämpfen wollen, mit unflätiger Kritik auf dessen Spiel ein: Masslosigkeit im Beschimpfen, Übertreibung in der Beurteilung und Anstandslosigkeit im Umgang. Längst ist diese Unart von den Spalten für Onlinekommentare in die Texte mancher angesehener Redaktionen ­geschwappt, die sich damit der Beschimpfungsorgie der Sozialen Medien anschliessen – und damit die neue Art des Diskurses mitprägen. Statt dem Treiben Einhalt zu gebieten, mischt man mit. Das richtige Rezept gegen Donald Trump wäre abgeklärte Nüchternheit und kritische Distanz, gleichwohl verfallen zu viele in die Marotten des umstrittenen Präsidenten.

Diese Verhärtung der Fronten und die Ausbreitung einer Kompromisslosigkeit sind Gift für jede Debatte. Eine daueralarmierte und ständig empörte Gesellschaft läuft Gefahr, den normalen Umgangston zu verlieren, auf den wir alle angewiesen sind.

Wieder mehr zuhören und weniger schreien

Wir sollten nicht aus den Augen verlieren, dass wir –­ unabhängig von unserer politischen Gesinnung – über das gemeinsame Interesse an einer fairen und offenen Diskussion miteinander verbunden sind. Das bedeutet beileibe nicht, dass wir uns über den zu beschreitenden politischen Weg einig sein müssen, aber es bedeutet, dass wir die Debatte darüber in Anstand und ohne allzu schrille Töne führen sollten. Dazu gehört auch, sich Zeit zu nehmen für die Analyse: Lassen wir die erste Aufregung einmal vorübergehen, verzichten wir auf den ersten Tweet, auf die Rücktrittsforderung, die erste Empörung auf Facebook. Lassen wir uns nicht vormachen, dass die ganze Wahrheit wenige Minuten nach einem Vorfall vorliegt und eindimensional einfach ist. Sammeln wir zuerst alle Fakten und werten dann. Und vor allem: Widerstehen wir der Versuchung, das Gegenüber bei Meinungsverschiedenheiten zum Erzfeind zu stilisieren, sondern hören wir wieder vermehrt zu. Vielleicht können wir ja vom anderen etwas lernen.

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