Als ein «Schaffhauser» wegen Spionage erschossen wurde

Ralph Denzel | 
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Was musste passieren, dass ein junger Mann sein Land verriet und dafür die Todesstrafe forderte? Bild: Wikimedia

Fridolin Beeler war 22 Jahre alt, als er 1943 wegen Spionage erschossen wurde. In der Region Schaffhausen wurde der Grundstein für seinen Verrat gelegt - was trieb den jungen Mann an?

Irgendwo in Zürich, in einem Waldgebiet. Fridolin Beeler, ein junger Mann von gerademal 22 Jahren, steht vor einem Erschiessungskommando. In einigen Gewehren befinden sich Platzpatronen. Keiner der Schützen soll später wissen, wer wirklich den tödlichen Schuss abgegeben hat. Fridolin Beeler wird vor einen Kugelfang gestellt, das Erschiessungskommando vor ihm. Die Anklage gegen den jungen Mann lautet auf Spionage. Es ist der 20. April 1943, Adolf Hitlers 54 Geburtstag – ein Zufall, aber doch auch eine bittere Ironie, bedenkt man, dass auch die Begeisterung für nationalistische Ideen Fridolin Beeler dorthin gebracht haben. So endet das junge Leben des Mannes, der voller Widersprüche war.

Er ist einer von 17 Schweizern, die wegen Landesverrat während des Zweiten Weltkrieges zum Tode verurteilt werden – und ist eng mit Schaffhausen verbunden.

Sein Weg nach Schaffhausen

Fridolin Beeler entdeckt am 4. Februar 1921 das Licht der Welt. Er wird im Kanton Glarus, genau genommen in Netstal, geboren. Er ist ein Mensch, der unstet ist, nicht genau zu wissen scheint, was er eigentlich möchte. So ist es ein grosses Ziel von ihm, Theologie zu studieren. Er möchte Pfarrer oder vielleicht auch Missionar werden. Aber das misslingt, weil seine Lateinnoten zu schlecht sind. Da dieser Traum geplatzt ist, wird er Bäcker-Ausläufer in Zürich.

In dieser Zeit geschieht laut Recherchen von Historiker Matthias Wipf etwas, das sein Leben verändern sollte: Nach einem schweren Unfall ist er eine längere Zeit ans Bett gefesselt und entdeckt dort die Lektüre «Also sprach Zarathustra» von Friedrich Nietzsche. Nietzsche, der deutsche Philosoph, der mit seinem Diktum «Gott ist tot» Menschen die Illusion nehmen will, dass es ein höheres, sinnstiftendes Wesen in dieser Welt gebe. Ein Philosoph der mit seinem Werk fordert: Glaube nicht einfach, denke selbst. Finde deinen Weg! In der Mitte dieser Überlegungen: Die Idee des Übermenschen, ein Ideal, an dem man sich orientieren kann, um «Durchschnittlichkeit, falsche Gläubigkeit und billige Moral zu überwinden und über sich selbst hinauszuwachsen, um neue Werte, vielleicht sogar eine neue Welt zu schaffen». «Ich lehre euch den Übermenschen. Der Mensch ist Etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?»

Prägte Fridolin Beeler: Friedrich Nietzsches «Also sprach Zarathustra»

Fridolin Beeler beantwortet diese Frage mit einer fast fanatischen Verehrung für Adolf Hitler. Dieser wird in der Vorstellung des jungen Mannes zu diesem Übermenschen, dem Ideal, dem er laut Nietzsche nachstreben soll. Das macht er auch – und legt so den Grundstein für sein sehr frühes Ende.

Kontakte zu Frontisten und erste Radikalisierung

Ende November 1939, der Zweite Weltkrieg tobt seit einem Monat, ist Fridolin Beeler dort angekommen, wo er sich wohlfühlen soll: In Schaffhausen. Dort macht er eine Bäckerlehre bei der Bäckerei Ermatinger am Fronwagplatz. Sein Lehrherr, Franz Ermatinger, mag den jungen Mann und wird später einer der letzten sein, die noch bis zu seinem Tod mit ihm Kontakt haben. Hier in Schaffhausen, einer Stadt, in der Frontisten sehr aktiv sind, findet Fridolin Beeler schnell Anschluss zu Gleichgesinnten. Er besucht immer wieder Veranstaltungen der «Nationalen Gemeinschaft Schaffhausen».

Fridolin Beeler im Kreise seiner Familie. Bild: Stadtarchiv Schaffhausen

Diese wird am 10. Juli 1940 gegründet, ein Zusammenschluss von, wie der Name deutlich sagt, Antisemiten, Antibolschewisten und Nazis. An deren Spitze steht der Reallehrer Karl Meyer, schon zuvor ein bekannter Frontist in Schaffhausen. Im «Grenzbote», einer rechten Zeitung der damaligen Zeit, ergeht zur Gründung dieser Bewegung «der Ruf an alle aufbauwilligen Kräfte, sich zusammenzuschliessen zu gemeinsamem Handeln». Fridolin Beeler folgt dem Ruf jedoch nicht, auch wenn Karl Meyer dem jungen Mann schwer imponiert. In einem späteren Verhör sagt Fridolin Beeler: «Ich habe mich während jener Zeit als Nationalsozialist gefühlt und auch entsprechend gehandelt». Wieder ein Widerspruch im Leben von Fridolin Beeler: Er sucht die Orientierung, schaut auf zu «Übermenschen», aber nicht bis zur letzten Konsequenz.

Sein Lebensweg führt ihn nach seiner Lehre nach Beringen. Im «Gemeindehaus» findet er eine Anstellung, die er jedoch bald wieder verliert. Das Besitzerehepaar von Euw sagt später über ihn, er sei ein «unzuverlässiger Bäcker gewesen» und habe mit seinen «politischen Äusserungen gegenüber den Gästen in der Wirtschaft» immer wieder angeeckt.

Auch in Schaffhausen gab es viele glühende Verehrer von Hitler und Nazideutschland. Bild: Staatsarchiv Bern

Fridolin Beeler verlässt die Region für eine Weile – und es geht nach eigener Aussage «rasend talwärts». Er entwickelt Todesfantasien und Sehnsüchte nach dem eigenen Ende. Wahrscheinlich hilft ihm hier wieder sein alter Lehrherr – dieser schreibt ihm: «Ich habe immer Zeit und verstehe dich immer».

Die Verhaftung

Fridolin Beeler ist bei der politischen Polizei in Schaffhausen schon damals kein Unbekannter. Auch, weil er seine politischen Ansichten offen zur Schau trägt, gerät er bald ins Fadenkreuz der Ermittler. «Wir haben diesen Beeler […] stundenlang überwacht», erinnerte sich Oskar Brunner, der damalige Chef der politischen Polizei Schaffhausen in einem Interview im Jahr 1999 mit Matthias Wipf.

Auch als Beeler nach einem Abstecher in Zürich wieder in die Region zurückkommt, ist er weiter im Visier der Ermittler. Er arbeitet in Rheinau bei der Bäckerei Rapold – und wird dort auch im Oktober 1941 verhaftet. Unter anderem, weil er auch dort mit seinen teils radikalen Ansichten und seiner Verehrung für Adolf Hitler nicht hinter dem Berg hält. Drei Tage wandert der damals 20-jährige Mann in Haft. Der Vorwurf: Verdacht auf Spionage. Nachweisen kann man ihm, bis auf seine radikalen Ansichten, nichts.

So wird er wieder entlassen.

Die Zeit in Haft macht ihn jedoch entschlossener und wütender. Er will was aus sich machen, nicht nur der Bäcker sein. Frei nach Nietzsche: «Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr getan, ihn zu überwinden?»

Fridolin Beeler beantwortet diese Frage, indem er sich zuerst dem Schweizer Nachrichtendienst anbietet – dieser lehnt ihn jedoch ab. Er will mehr sein, grösser und besser – und so geht er nach Waldshut, nimmt Kontakt zum deutschen Nachrichtendienst und der Gestapo auf. Diese nehmen ihn zwar nicht für voll, aber nutzen ihn. Endlich bekommt Fridolin Beeler eine Aufgabe.

In der Innerschweiz spioniert er militärische Objekte aus, kontrolliert Geländekarten auf ihre Richtigkeit. Das Geld, das er dafür bekommt, will er später nutzen, um Journalist zu werden. Er will mehr sein als nur ein Bäcker und ein «Aushilfs»-Spion. Dieser Wunsch wird in Erfüllung gehen – er wird sich als Märtyrer sehen, andere als verlorene Seele trauriger Berühmtheit.

«Adolf wird euch schon noch holen»

Es ist Ende Februar, als Fridolin Beeler von der politischen Polizei verhaftet wird. Der Zugriff erfolgt, als er gerade in einem Zug in Richtung Zürich sitzt. In seinem Elternhaus finden die Beamten stapelweise geographische Karten, die Beeler für den deutschen Nachrichtendienst hätte kontrollieren sollen. Er legt ein umfassendes Geständnis ab und wird in Zürich zum Tode verurteilt.

Fridolin Beeler hat alle Chancen, diesem Schicksal zu entfliehen. So attestiert ihm ein Psychologe, dass der junge Mann mindestens zu 30 Prozent «vermindert zurechnungsfähig» sei. Fridolin Beeler sei vielmehr ein «selbstgefälliger, in vielem läppisch wirkender körperlicher und geistiger Schwächling». Seine Handlungen seien nicht aus krimineller Energie heraus, sondern eher aus krankhaften Motiven entstanden. Auch der damalige Leiter der politischen Polizei, Oskar Brunner, nennt die Taten von Fridolin Beeler damals im Gespräch mit Matthias Wipf eher eine «Lappalie» denn ein echtes Verbrechen. Er vermutet, dass das Gericht an dem jungen Mann ein «Exempel statuieren» will.

Fridolin Beeler will jedoch die Konsequenzen tragen. Seine damalige Freundin beschreibt ihn als «einfach zu stolz, um sich mit letzter Konsequenz gegen seine Verurteilung zu wehren». Mehr noch: Fridolin Beeler fordert beim Oberrichter sogar die Todesstrafe für sich ein. Gegen die Einschätzung des Psychologen wehrt er sich mit allen Mitteln.

Als sein Anwalt eine Kassationsbeschwerde gegen das Urteil einlegt, ordnet Fridolin Beeler diesen an, die Beschwerde wieder zurückzuziehen. Als dann der Grossrichter Guido Dubler, Vorsitzender des Verfahrens gegen Fridolin Beeler das Urteil verkündet, soll Beeler aufgestanden sein und den Hitlergruss vollführt haben.

Er hat sein Ziel erreicht.

Einer der letzten Briefe, die Fridolin Beeler schreibt ist an seinen alten Lehrmeister Fritz Ermatinger: «Indessen dürfen Sie nicht glauben, dass ich mich etwas fürchte. Nietzsche, der mich schon, als ich bei Ihnen lernte, stets begleitete, geht mit mir.» Der Tod «ist für mich nichts anderes, als der entscheidende Schritt zur Freiheit.»

Er will sein ganzes Leben mehr sein. Aber er wird kein Priester, kein Journalist, keine Übermensch – nur ein verwirrter, junger Mann, der am Ende für nichts und wieder nichts in den Tod geht.

Mit den Worten seines alten Lehrmeisters: «Schade, dass Du die Theaterrolle, welche Du zu spielen Dir vorgenommen hast, mit Deinem Verhalten an der Urteilsverkündung nicht als abgeschlossen betrachtet hast».

Fridolin Beeler, ungefähr um 1940. Bild: Stadtarchiv

Fridolin Beeler wird um 5.30 Uhr am 20. April 1943 erschossen.

Als er am Morgen aus dem Gefängnis abgeholt wird, soll er gesagt haben «Adolf wird euch schon noch holen. Heil Hitler.»

In den Schaffhauser Nachrichten heisst es einen Tag später: «Amtlich wird mitgeteilt: Am 30. März 1943 hat das Territorialgericht 3a den hilfsdienstpflichtigen Beeler Fridolin, geboren 1921, von Schänis, wegen Verräterei zum Tode verurteilt. Der Angeklagte hat für eine kriegführende Macht und gegen Entgelt militärische Anlagen unseres Landes, wie Bunker, Tanksperren, Minenobjekte usw., durch Erkundigungsfahrten festgestellt und ins Ausland gemeldet. Beeler hat ein gegen das Urteil einbegehrtes Kassationsbegehren zurückgezogen und die Einreichung eines Begnadigungsgesuches abgelehnt. Die Todesstrafe ist daher nach Ablauf der für ein solches Gesuch festgesetzten Frist von drei Tagen am 20. April 1943 durch Erschießen vollzogen worden.»

Quelle: Geschichten zur Geschichte - Autoren und Leser der «Schaffhauser Nachrichten» blicken zurück

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Kommentare (3)

Max Falk Di 05.02.2019 - 10:34

Dass bei Schweizer Exekutions-Peletons im 2. Weltkrieg auch blinde Patronen eingesetzt wurden, ist eine Mär!

Markus Matthias Eichenberger Mo 04.02.2019 - 09:44

Interessanter Artikel. Der erstgenannte Bäckermeister "Franz" Ermatinger wurde später zu "Fritz", und so stimmt es...

Markus Eichenberger

Vreni Pletscher Mo 14.01.2019 - 10:19

Der Artikel ist durchaus lesenswert - obwohl es für mich unverständlich ist, dass ein solcher Beitrag nicht gegengelesen wird. 3x wird Fridolin falsch geschrieben, neben anderen Fehlern. Irgendwie respektlos den Lesern gegenüber. Die merken es ja nicht...

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