Amslers Bundesratstraum ist geplatzt
Die Hoffnung, der Kanton Schaffhausen könnte erstmals in die Landesregierung einziehen, ist gestern Abend mit der Nichtnomination von Regierungspräsident Christian Amsler gestorben.
Kommentar: Der grosse Exploit im Bundeshaus ist ausgeblieben
Die FDP-Fraktion hat gegen Christian Amsler entschieden, die Überraschung ist ausgeblieben: Zu stark war die Position von Karin Keller-Sutter und zu gross der Vorsprung des ebenfalls bereits im Ständerat politisierenden Hans Wicki.
Um seine Konkurrenz noch überflügeln zu können, hätte Amsler ganz neue, provokative Töne anschlagen müssen – Töne, die seinem Profil als Mittepolitiker so gar nicht entsprochen hätten. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er seinem politischen Kurs und damit sich selbst treu geblieben ist.
Gleichzeitig ist es absehbar, dass nun die Debatte um die Untersuchung der Vorgänge an der Schulzahnklinik als Ursache bemüht werden wird. Aber: Daran ist es nicht gescheitert. Eher daran, dass Amsler in der Vergangenheit nicht mit klaren Positionen zu nationalen Themen in Erscheinung getreten ist. Das hätte über Voten in wichtigen Debatten oder als Mitglied im Vorstand der FDP Schweiz geschehen müssen. Nationales politisches Gewicht bekommt man nicht auf der Roadshow, das will in der Kontroverse verdient sein.
Was bleibt? Dass bei Amslers Kandidatur neben Mut auch eine Portion Übermut mitgeschwungen hat, ist unbestritten. Schadenfreude wäre aber fehl am Platz: Amsler hat es probiert, im Wissen, dass er auch scheitern kann. Mehr als bei vielen anderen ist beim Optimisten aus Stetten klar, dass er nun nicht wehleidig liegen bleibt, sondern aufsteht.
Es mangelt nicht an Kritikern, die nun den Stab über Christian Amsler brechen. Aber: Wenn es zum Vorwurf gemacht wird, dass einer Ambitionen hat und diese auch verfolgt, ermutigen wir damit letztlich zu Genügsamkeit, zu lauwarmem Mittelmass. Wollen wir davon wirklich noch mehr in der Politik?
Von Anna Kappeler und Clarissa Rohrbach
Christian Amsler ist angetreten, der erste Schaffhauser Bundesrat zu werden. Im Wissen darüber, dass seine Chancen als Nicht-Bundeshaus-Parlamentarier begrenzt sind. Es kommt dann auch nicht zu einer Überraschung – gestern Abend folgt Amslers vorzeitiges Aus. Die FDP-Fraktion nominiert die klare Favoritin und Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter (SG) sowie Ständerat Hans Wicki (NW). Keller-Sutter holt bei der Wahl um Platz 1 auf dem Ticket mit 38 Stimmen ein Glanzresultat, von den 41 anwesenden FDPlern stimmen nur gerade 3 nicht für sie. Auch Wicki vereint bei der Wahl um Ticketplatz Nummer 2 respektable 29 Stimmen auf sich. Der Schaffhauser Regierungspräsident Amsler schafft den Sprung aufs Ticket nicht.
Die Enttäuschung steht Amsler an der Pressekonferenz kurz nach den Nominationen ins Gesicht geschrieben. Schliesslich hat er schon vor Jahren, damals noch Primarlehrer, den Berufswunsch Bundesrat angegeben. Sichtlich niedergeschlagen also betritt der 196 Zentimeter grosse Mann das Berner Medienzentrum, hinter Parteichefin Petra Gössi, Fraktionspräsident Beat Walti, Keller-Sutter und Wicki, den Blick auf den Boden gerichtet. Chefin Gössi dagegen strahlt: «Ich bin sehr stolz auf die FDP», sagt sie gleich zu Beginn. Fraktionspräsident Walti ergänzt: «Wir hatten heute eine sehr privilegierte Situation mit drei tollen Dossiers zur Auswahl.» Man habe sich schnell für das Zweierticket entschieden. «Niemand soll uns vorwerfen können, wir seien mit einem Dreierticket den leichtesten Weg gegangen. Wir wollten eine Auswahl», sagt Walti.
«Niemand soll uns vorwerfen können, wir seien mit einem Dreierticket den leichtesten Weg gegangen.»
Beat Walti, FDP-Fraktionspräsident
Um 17.58 Uhr ergreift Amsler das Wort, nachdem sich vor ihm Keller-Sutter und Wicki für ihre Nomination bedankt haben. Wirkte Amsler Sekundenbruchteile zuvor noch in sich zusammengefallen, sagt er nun mit fester Stimme: «Ich gratuliere meinen beiden Mitbewerbern herzlich und nehme den Entscheid sportlich.» Das Positive dieser Bewerbungsphase bleibe zurück, und das wenige Negative vergesse er als positiv denkender Mensch ganz einfach.
«Seit Christian Amsler Bundesratskandidat ist, kenne ich zusätzlich zu seinem Namen auch sein Gesicht.»
Balthasar Glättli, Grünen-Fraktionspräsident
Man glaubt es Amsler aufs Wort, und doch, während der anschliessenden Fragerunde der anwesenden Journalisten, gleitet sein Blick immer wieder weg, irgendwo in die Ferne. Nicht eine einzige der Fragen geht an ihn. Fast so, als wäre er schon nicht mehr hier. Er war angetreten als Aussenseiter und ist gestern in Bundesbern einer geblieben.
Amsler ist wenig bekannt
Amsler, so zeigt eine kleine Umfrage der SN bei Parlamentariern, ist zu wenig vernetzt, das dürfte der Grund für seine Nichtnomination gewesen sein. Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (ZH) zum Beispiel sagt: «Seit Christian Amsler Bundesratskandidat ist, kenne ich zusätzlich zu seinem Namen auch sein Gesicht. Vorher war er mir bloss von seiner Tätigkeit als ehemaliger Erziehungsdirektorenpräsident aus Medienberichten bekannt.» Glättli wolle Amsler nicht unrecht tun, er sei sicher kein schlechter Kandidat, aber halt wenig bekannt. Erst die Hearings, bei dem die anderen Parteien die Bundesratskandidaten in die Mangel nähmen, hätten das ändern können. Ähnlich klingt es beim Parteipräsidenten der SVP: «Ich will mich vor unserem Hearing nicht zu einzelnen Kandidaten äussern», sagt Albert Rösti. Dieses finde in der Wintersession statt. Auch beim SP-Präsidium verweist man auf die Hearings, man kenne Amsler schlicht zu wenig.
«Amsler hatte reelle Chancen»
FDP-Chefin Gössi winkt ab bei der Frage, ob Amsler ein reiner Alibikandidat gewesen sei: «Amsler hatte reelle Chancen. Das meine ich wirklich so.» Amsler hätte laut Gössi jedoch mehr Zeit gebraucht, um die Fraktion von sich überzeugen zu können. Das sieht auch Isabelle Moret (VD) so, sie war letztes Jahr selbst Bundesratskandidatin für die Nachfolge von Didier Burkhalter. Sie sagt: «Gepunktet hat Amsler für mich auf der Roadshow in Yverdon. Je besser ich ihn kennenlernte, desto überzeugender fand ich ihn.» Auch Nationalrätin Christa Markwalder (BE) lobt Amslers Rede vor der Fraktion, genauso wie Andrea Caroni (AR). Aber: «Wenn man mit jemandem im gleichen Rat sitzt, gibt man dieser Person nur schon aus Loyalitätsgründen eher die Stimme als jemandem von aussen», so aroni.
«Nicht die schlechteren Leute»
Und wie reagiert man in Amslers Heimpartei, der FDP Schaffhausen, auf seine Nichtnomination? «Wir sind nicht enttäuscht», sagt deren Geschäftsführerin Brigitta Hinterberger. Man freue sich, dass Amsler überhaupt so weit gekommen sei. Dass es Schaffhausen schon wieder nicht in den Bundesrat schaffe, liege nicht am Kanton selbst. «Wir haben hier nicht die schlechteren Leute», sagt Hinterberger. Schliesslich gebe es auch noch weitere sechs Kantone, die noch nie im Bundesräte stellten. Präsident Marcel Sonderegger ergänzt, für Amsler sei es zu schwierig gewesen, sich aus der Ferne durchzusetzen. Dazu komme, dass die kantonale Partei im Bundeshaus keinen Parlamentarier habe, der für Amsler hätte lobbyieren können.
So geht’s weiter
Als Nächstes werden die Nominierten von den übrigen Fraktionen auf ihre Bundesratstauglichkeit geprüft. Die Hearings finden in der Regel am ersten und am zweiten Dienstag der Session statt. Diese beginnt am Montag in einer Woche. Die Bundesratsersatzwahl findet am 5. Dezember statt.
Nachgefragt: «Ich werde es schon verdauen»
Herr Amsler, Sie wirkten bei der Pressekonferenz etwas niedergeschlagen. Wie geht es Ihnen?
Christian Amsler: Als ich im zweiten Wahlgang erfahren habe, dass ich nicht aufs Ticket komme, war das eine Enttäuschung. Aber ich wäre nicht ein Sportler, wenn ich jetzt zu Tode betrübt wäre. Es ist schade, dass ich mein Ziel nicht erreicht habe, aber ich möchte Karin Keller-Sutter und Hans Wicki gratulieren. Es war ein hoch spannender Tag, und ich denke, wir haben diesen Lauf gut gemeistert. Trotz Absage habe ich gute Rückmeldungen aus der Fraktion bekommen. Doch es haben nun verschiedene Faktoren mitgespielt, dass ich es nicht geschafft habe.
Welche Faktoren sind das?
Amsler: Einerseits war da die regionale Frage. Obwohl Schaffhausen noch nie im Bundesrat vertreten war, hat sich die Fraktion entschieden, die Vertretung der Zentralschweiz zu stärken. Dass dies ein Anliegen in Bern ist, sieht man auch an der Nomination der Urner Regierungsrätin Heidi Z’graggen. Andererseits hatte ich klar die Rolle des Aussenseiters. Die Parlamentarier in Bern gleichen einer Familie, es ist schwierig, wenn man da neu hinzukommt. Es wurde mir auch klar gesagt, dass man Kandidaten aus den eigenen Reihen nicht vor den Kopf stossen wollte.
Haben Sie zu wenig für sich geweibelt in Bern?
Amsler: Es ist nicht meine Art, eine grosse Tour bei den Parlamentariern in Bern abzuhalten. Ich hatte mit verschiedenen Mitgliedern der Fraktion Kontakt im Vorfeld. Aber es ist natürlich viel einfacher, wenn man vor Ort ist. Doch es ist wie beim Sport: Es bringt nichts, sich im Nachhinein zu fragen, was man hätte besser machen können. Wenn man ausgeschieden ist, ist man ausgeschieden. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe mein Bestes gegeben und gehe mit gestärktem Rücken zurück nach Schaffhausen.
Bei der CVP allerdings hat es mit Z’graggen eine Aussenseiterin geschafft.
Amsler: Man kann die beiden Tickets nicht miteinander vergleichen, es waren ganz andere Konstellationen.
Die Schaffhauser FDP will 2019 wieder einen Sitz in Bern. Haben Sie diesem Vorhaben den Weg geebnet?
Amsler: Viele Stimmen in Schaffhausen haben mir gesagt, es sei super, wenn durch meine Kandidatur der Kanton wieder wahrgenommen werde. Die Schaffhauser FDP wurde in die Schweiz hinausgetragen. Das haben wir dringend nötig. Denn es wird genug schwierig werden, unseren Sitz in National- und Ständerat zurückzuholen. Unsere Partei als Vertretung der Mitte hat einen Sitz verdient. Jetzt geniessen wir zuerst die Festtage, aber dann geht es 2019 mit Volldampf in die Wahlen. Wir haben schon einiges geplant.
Wie geht’s jetzt weiter für Sie?
Amsler: Ich muss den Tag erstmals ein wenig verdauen. Das wird mir schon gelingen. Ich gehe jetzt zurück nach Schaffhausen und beende mit grossem Effort mein Präsidialjahr. Danach bleibe ich Regierungsrat, und als Leiter der Personalkommission der kantonalen Partei werde ich mich stark für das National- und das Ständeratsticket engagieren.
Ihre Frau hat Geburtstag. Feiern Sie trotzdem noch?
Amsler: Nicht nur meine Frau, auch mein Vater hat Geburtstag. Traditionell feiert die ganze Familie den 16. November zusammen. Ich versuche so schnell wie möglich zurückzureisen. Meine Familie wartet bereits im Restaurant. Mein Platz ist jetzt in Schaffhausen.
Interview: Clarissa Rohrbach