Als der weltberühmte Psychologe Hermann Rorschach Schaffhauser war

Ralph Denzel | 
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Der Rorschachtest machte den Psychologen weltberühmt - und wird bis heute angewandt. Bild: Wikimedia/Montage RD

Sigmund Freud, Carl Gustav Jung - und Hermann Rorschach. Diese Menschen haben die Welt der Psychologie verändert. Bei Hermann Rorschach wurde der Grundstein dafür in Schaffhausen gelegt.

Betrachten Sie das Bild direkt unter diesem Abschnitt – dann beantworten Sie bitte die Frage: Was könnte das sein? Lassen Sie sich Zeit, wenn nötig, betrachten Sie das Bild aus allen Winkeln – und dann entscheiden Sie sich. Hierbei gibt es kein falsch oder richtig.

Ein Bild aus dem Rorschach-Test. Bild: Wikimedia

Diese Tintenkleckse, oder zumindest Variationen davon, haben Sie sicher bereits gesehen. Es ist ein Instrument der Psychoanalytik, der sogenannte Rorschach-Test. Dieser hilft dabei, die Persönlichkeit eines Probanden zu untersuchen und zu analysieren. Erschaffen wurde dieser vom Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Hermann Rorschach – der viele Jahre in Schaffhausen lebte und hier die Grundlagen lernte, mit denen er später die Welt der Psychologie verändern sollte.

Ein Schaffhauser Junge

Hermann Rorschach erblickt am 8. September 1884 in Zürich-Wiedikon, in der Hadlaubstrasse 278, das Licht der Welt. Sein Vater, Ulrich Rorschach, ist Maler und stammt aus einem alten Geschlecht, welches bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Er ist unstet, reist viel, ehe er im Jahr 1882 Philippine Wiedenkeller heiratet. Vater Rorschach, zuvor viel auf Wanderschaft, ist froh, als er im 1886 eine Anstellung in Schaffhausen erhält. Er wird Zeichenlehrer an der Knabenrealschule. Zusammen mit seinem Sohn und seiner Frau zieht er in die Munotstadt, wohnt zuerst bei der Familie Familie Spahn im Grubenquartier. Zwei weitere Jahre später kommt Hermann Rorschachs Schwester Anna Louise zur Welt. Die Familie freut sich. So ist in ihrem Hochzeitsalbum zu lesen: «Ganz nach Wunsch diesmal ein Mädchen.»

Die Familie Spahn hat dabei einen grossen Einfluss auf den jungen Hermann Rorschach, fördert seine Neugier und bringt ihm fremde Kulturen nahe. So schreibt seine Schwester in ihren Erinnerungen an den weltberühmten Bruder: «Die Familie Spahn […] war stets freundlich und gütig, und da ein Mitglied der Familie in der Mission tätig war, erhielt Hermann hier früh Einblick in fremde Länder. Allerhand seltsame Spielsachen, Muscheln, in denen man das Meer rauschen hörte, kamen in unsere Kinderstube.»

Ulrich Rorschach (erste Reihe, erster von links) im Kreise seiner Kollegen. Bild: Stadtarchiv Schaffhausen

Die Familie bleibt unstet - wie der Vater in seinen jungen Jahren. Mehrmals zieht sie innerhalb von Schaffhausen um. So folgt nach dem Aufenthalt bei der Familie Spahn der Einzug ins Haus «Tabor» auf dem Geissberg. Dort wird Hermann Rorschachs Bruder Paul geboren. Danach zieht die Familie auf den Emmersberg in eine Neubauwohnung, bevor Vater Ulrich später einen Hausanteil der Liegenschaft in der Pestalozzistrasse 52 erwirbt.

Das Familienverhältnis ist herzlich und liebevoll. Ulrich ist ein besorgter und liebevoller Vater, wie es in Aufzeichnungen heisst. Das wird auch deutlich, als im Jahr 1897 Mutter Philippine stirbt. Hermann Rorschach ist damals zwölf Jahre alt. Sein Vater versucht in dieser Zeit, so gut es geht für seine Kinder da zu sein. «Vater war rührend um uns besorgt», heisst es in Aufzeichnungen aus der Familie. Der Witwer «machte mit uns Grösseren» immer wieder «weite Spaziergänge und lehrte uns die Natur schätzen und richtig ansehen. Eine Haushälterin sorgte für das leibliche Wohl.»

Ulrich Rorschach heiratet später die Halbschwester seiner verstorbenen Frau, die Gotte von Hermann. Aus dieser Ehe geht ein weiteres Kind hervor.

Hermann Rorschach wird in dieser Zeit und auch später von seinen Lehrern als «ein ruhiger aber fröhlicher und dennoch besonnener Knabe mit vielseitiger Begabung» bezeichnet. Er besucht die Grundschule auf dem Emmersberg, geht später auf das Gymnasium. Schnell wird deutlich, dass er neben einem scharfen Geist auch eine geschickte Hand hat. Er ist, wie sein Vater, ein talentierter Zeichner. 1903 wird er Mitglied bei der Vereinigung Scaphusia. Diese schreibt über ihn in einer Jubiläumszeitschrift, er sei ein «ganz gottbegnadeter Pinsel-Virtuos». Manche Gemälde, die Hermann Rorschach damals anfertigt, sind noch heute im Besitz von Schaffhauser Familien.

Hermann Rorschachs Kindheit und Jugend ist vor allem durch die liebevolle Familie geprägt, in der er seine Fähigkeiten und sein Wissen mehren kann. Auch als der Vater krank wird, ändert sich nichts an seiner Bemühung, für seine vier Kinder da zu sein. «Vater war nun immer zu Hause, leidend, aber doch noch voller Interessen für seine Kinder; unsere körperliche und geistige Entwicklung lag ihm sehr am Herzen.»

Gerade diese Krankheit seines Vaters ist es, die den jungen Hermann wohl nachhaltig prägt. Nach einer Bleivergiftung muss Vater Ulrich nämlich seine Leidenschaft, das Zeichnen, aufgeben. Die Krankheit «gab wohl Hermann den ersten Anstoss, sich der Medizin und speziell der Psychiatrie zu widmen. Noch sagte er aber niemandem ein Wort von seinen Träumen, wie hätte er es auch können, wo eine lange Krankheit des Ernährers bevorstand.» Von der Krankheit erholt sich Vater Ulrich nicht. Er stirbt 1903. Hermann ist zu dieser Zeit gerade in seinem letzten Schuljahr – und vollendet es, trotz dem schweren Schicksalsschlag.

Seine Prüfungen in Deutsch, Latein und Naturgeschichte, Mathematik, Englisch und Französisch legt er jeweils mit 5,0 ab. Mit der Maturität in der Tasche, bleibt für den jungen Rorschach nun die Frage offen: Wo soll sein Weg hingehen?

Begabt, aber orientierungslos

Als Hermann Rorschach die Maturität hat, ist er hin und her gerissen. Sein Zeichentalent ist unbestritten und wird immer wieder hervorgehoben und bewundernd anerkannt. Gleichzeitig hängt der Tod des Vaters wie auch der Wunsch, in den Naturwissenschaften Antworten auf die Frage, wie man Menschen helfen kann, über ihm. Aber nicht nur im Zeichnerischen ist er begabt: Auch sprachlich ist der junge Hermann ziemlich fix. Das zeigt er schon in seiner Zeit in Schaffhausen. So zeigt er eine grosse Zuneigung zur heiteren Dichtung, kann sehr schnell fremde Sprachen erlernen. In der Vereinigung Scaphusia soll er ein Vereinsprotokoll in plattdeutscher Sprache angefertigt haben, einfach, weil er es kann und er huldigt seinem Mathematiklehrer in plattdeutschen Versen, als dieser sein 30-jähriges Dienstjubiläum feiert. Auch findet man allerlei Gedichte aus dieser Zeit, die der junge Mann verfasst hat.

Es ist klar: Er hat viele Talente. Die Frage ist nur, wo er diese einsetzen will.

Hermann Rorschach, ca. 1910. Bild: Wikimedia

Letztlich entscheidet er sich für die Medizin und schreibt sich in Neuchâtel ein. Er ist während des Studiums jedoch, wie in seinem früheren Leben, immer unterwegs: So führt ihn sein Weg nach Zürich, Berlin und auch nach Moskau. Er heiratet und macht sein Examen. Die wichtigste Station für sein späteres Leben ist jedoch die Zeit um 1911. Dort beginnt er mit seinem ehemaligen Schulkameraden aus Schaffhausen die ersten Versuche mit sogenannten «klexographischen» Zufallsformen an Schülern zur Erfassung der Phantasiekräfte – die ersten Vorläufer des Rorschachtests.

Der Künstler, der Psychologe wurde

Der Rorschachtest ist in gewisser Weise ein Spiegel des Genies Hermann Rorschach: In diesem spiegeln sich die Einflüsse, die der junge Hermann in Schaffhausen erlernte, von der Kunstfertigkeit bis zur Kreativität. Biographen sagen über ihn und seine Arbeiten: «Seine eigentümliche, für alle Psychologie fruchtbare und zündende Kraft liegt in der engen Verbundenheit wissenschaftlicher Eichung und intuitiven Schauens.» So sei es «nur einem Menschen, der Wissenschaft und Kunst so innig in sich vereinte wie Hermann Rorschach» möglich «eine solche individuell verstehende und zugleich wissenschaftlich normierte Methode psychodiagnostischer Erkenntnis aufzustellen.» So erfordert der Rorschach-Test, sowohl vom Probanden als auch vom Psychologen, ein Verständnis für Formen, Farben und ihre Deutung. Wie genau dieser Test funktioniert, finden Sie in der Infobox links.

Trotzdem erkennt die Bedeutung dieses Test fast niemand, als Hermann Rorschach seine Ergebnisse in die Welt der Psychologie tragen will. 1918, damals arbeitet er in Herisau, präsentiert er Kollegen die erste Ausarbeitung seiner «Tintenkleckstafeln». Die Kollegen verstehen es nicht – vielleicht auch, weil es ihnen zu sehr in den Bereich der Psychoanalse geht. Dieses Feld ist damals neu und wird oft mit Misstrauen betrachtet. Rorschach hingegen ist angetan davon und überzeugt von seiner Arbeit. So verfasst er ein Buch, um eine gewisse akademische Anerkennung zu erlangen. Aber auch hier erfährt er erstmal nur Ablehnung. Erst mit Hilfe eines Freundes aus Bern kann er schliesslich wenigstens zehn, ursprünglich will Rorschach 15 Tafeln, veröffentlichen. 1921 wird das Buch veröffentlicht – und von anderen Psychiatern komplett abgelehnt.

Hier können Sie einen Rorschach-Test machen

Hier finden Sie einige Bilder aus dem Rorschach-Test. Zur Auswahl stehen die häufigsten Antworten, die Probanden beim Betrachten der Bilder gegeben haben.

 

 

Dabei will Hermann Rorschach mit seinem Werk vor allem die Wissenschaft voranbringen. Abgeschlossen und allgemeingültig sieht er seine Forschung hingegen nicht. Vielmehr soll es nur ein weiterer Schritt sein, die Psychoanalyse voranzubringen. Seine Frau Olga sagt daher später über ihren Mann: «Er hatte grosse Perspektiven, sah in der zukünftigen Erweiterung der Methode die Möglichkeit, das Verbindende, das Allmenschliche zu ergründen.» Für Rorschach ist die Psychodiagnostik «nicht ein bereits fertiger Kristall; es war nur Anfang, er sah es in statu nascendi, im Fluss, als Tasten und Suchen.»

Das sehen seine Kollegen nicht. Die Psychoanalytik wird erst später Anerkennung erhalten. Das hingegen wird Hermann Rorschach nie erleben. Er stirbt am 2. April 1922 in Zürich. Eine Bauchfellentzündung nach einer Blinddarmentzündung kostet ihn das Leben.

Erst Jahre nach seinem Tod, Mitte der 1930er Jahre, gerät die Psychoanalyse und damit auch Rorschachs Test ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Endlich findet er auch Eingang in wissenschaftliche Kreise. Er wird in mehrere Sprachen übersetzt und im Jahr 1941 ist zu lesen: «Die Rorschach-Methode verdient offenbar wirklich die Beachtung, auf die sie in zunehmendem Masse stösst.»

So findet Hermann Rorschach Einzug in die Annalen der Wissenschaft – und ist bis heute auch durch sein Leben und Wirken in Schaffhausen präsent. Sei es durch die Hermann-Rorschach-Strasse, die Gemälde und Bildern von ihm, die noch heute bei Schaffhausern an den Wänden zu finden sind, oder auch durch seine Familie, die teils lange in Schaffhausen blieb und bis heute hier Wurzeln hat.

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Kommentare (1)

Michael E. Dreher Mo 29.10.2018 - 10:40

Hermann Rorschach muss sich bereits als Kantonsschüler mit der "Klexografie" befasst haben. Bei seinem Eintritt 1902 wurde ihm sinnigerweise der Cerevis "Klex" verliehen. Er ist wohl der bekannteste Scaphusianer der Welt.

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