Der alltägliche Weg über die Grenze

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Rund 5000 Grenzgänger arbeiten im Kanton Schaffhausen, über 1600 mehr als noch vor 20 Jahren.

 

von Lia Pescatore

Jeder zehnte Arbeitsplatz im Kanton Schaffhausen ist von einem Grenzgänger oder einer Grenzgängerin besetzt. Dies zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Damit übertrifft Schaffhausen den nationalen Durchschnitt, der bei unter 7 Prozent liegt.

Die 10 Prozent in Schaffhausen entsprechen rund 5000 Menschen, die zwar im Ausland wohnen, aber bei uns arbeiten. Praktisch alle, 98 Prozent, kommen aus Deutschland. Mehr als die Hälfte zieht es direkt in die Kantonshauptstadt, da sich dort die meisten Arbeitsplätze befinden. Ganz ohne Grenzgänger steht keine einzige der knapp 50 Gemeinden im Einzugsgebiet der SN da – siehe Karte oben und Tabelle links. Vor allem an den Zahlen im Kanton Schaffhausen ist zu erkennen, dass Grenzgänger seit Längerem ein gängiges Phänomen sind. Nur gerade eine einzige Gemeinde, Buch, verzeichnete in den letzten 20 Jahren zeitweise keine Grenzgänger.

 

Schaffhausen als Hochburg für Grenzgänger

Vor 20 Jahren zog der Kanton Schaffhausen am meisten Grenzgänger in der Nordschweiz an. 1996 zählte man 3400 Grenzgänger, der Kanton konnte sich sogar neben seinem gros­sen Nachbarn Zürich behaupten: Schaffhausen beschäftigte fast 500 Grenzgänger mehr als Zürich. Erst im Jahre 2001 überholte Zürich Schaffhausen. Heute sind 10 000 Grenzgänger in Zürich tätig, also rund doppelt so viele als in Schaffhausen. Auch der Kanton Thurgau hat Schaffhausen – knapp – überholt: Er zählt 5147 Grenzgänger. Prozentual betrachtet kommen die beiden Kantone aber nicht an Schaffhausen heran: In Zürich ist es gerade mal 1 Prozent, im Thurgau sind es 4 Prozent aller Arbeitsplätze, die von Grenzgängern besetzt sind.

 

 

Grenzgänger bleiben nahe der Grenze

Schaffhausen unterscheidet sich von den Nachbarkantonen klar durch seine ausgeprägte Grenzlage: Zwar stossen auch Zürich und Thurgau an Deutschland, aber nur der Kanton Schaffhausen ist fast vollständig von Deutschland umgeben. Dass die Nähe zur Landesgrenze auch für die einzelnen Gemeinden entscheidend ist, wird beim Blick auf die Karte deutlich: Gemeinden, die direkt an der Grenze liegen, erreichen durchschnittlich höhere Werte. Auch die drei Gemeinden mit den höchsten Anteilen an Grenzgängern, nämlich Trasadingen (26 Prozent), Ramsen (24 Prozent) und Rheinau (22 Prozent), liegen im äusseren Gürtel. Den tiefsten Wert erreicht die Gemeinde Lohn: Gerade mal 1 von den 163 Arbeitsplätzen ist von einem Grenzgänger ­belegt.

Wir haben bei unserer kleinen Studie auch die Entwicklung unter die Lupe genommen. Büttenhardt ist mit einem Minus von 67 Prozent die Gemeinde mit dem höchsten prozentualen Rückgang in den letzten 10 Jahren. Diese Prozentangaben sind aber mit Vorsicht zu interpretieren: Beim Rückgang von 67 Prozent in Büttenhardt handelt es sich real bloss gerade um 2 Grenzgänger, die nicht mehr in der Gemeinde arbeiten. Zum Vergleich: Rheinau hat seit 2006 11 Prozent verloren, dies entspricht aber 13 Leuten. In den kleinen Gemeinden der Region Schaffhausen haben minime reale Veränderungen oft grosse prozentuale Ausschläge zur Folge.

«Grenzgänger sind vielfach unentbehrlich»

Die Grenzgänger kommen in den meisten Fällen wegen der höheren Löhne in die Schweiz. Es profitiert aber auch der Arbeitsmarkt, denn Grenzgänger sind wichtige Anwärter auf Arbeitsstellen. «Die Schaffhauser Wirtschaft ist auf Mitarbeiter aus dem Ausland angewiesen», sagt Petra Roost von der Wirtschaftsförderung Schaffhausen. «Insbesondere Fachkräfte mit technischem Hintergrund sind für viele produzierende KMU und Industrieunternehmen sehr wichtig und vielfach unentbehrlich.» Auch Finanzinstitute sind auf Grenzgänger angewiesen. Ursula Erb, Leiterin Kommunikation der Schaffhauser Kantonalbank, die zurzeit ein gutes Dutzend beschäftigt, sagt: «Bei uns nehmen Bewerbungen von gut ausgebildeten Leuten aus dem nahen Ausland zu, es wird schwieriger, in der Schweiz Fachkräfte zu finden.»

 

Fachkräfte gesucht

Der Fachkräftemangel ist ein Problem in der ganzen Schweiz. Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) analysierte letzten Herbst den Fachkräftemangel in den verschiedenen Berufssektoren. Die Experten kamen zu dem Schluss, dass vor allem Berufe mit hohem Beschäftigungswachstum und gleichzeitig hohen Qualifikationsanforderungen vom Fachkräftemangel betroffen sind, zum Beispiel Ingenieur- oder Gesundheitsberufe. Dies kann uns auch der Grenzgänger und Psychiatriepfleger Daniel Tröndle bestätigen. Das Stellenangebot, vor allem gerade für Pfleger, sei «immens gross» (siehe Artikel rechts).

Doch auch Grenzgänger können den Mangel an geeigneten Bewerbern nicht ausgleichen: Eine Studie der Zürcher Wirtschaftsdirektion von Ende 2016 weist nach, dass nur 1 von 6 Grenzgängern die nötige Ausbildung und die nötige Qualifikation mitbringt, um als Spezialist in der Schweiz zu arbeiten.

Grenzgänger: Gynäkologe

Mehr Arbeitsqualität

Der reibungslose Start in Schaffhausen hat den Gynäkologen Ralf Rothmund überrascht.

Ralf Rothmund Seit Oktober 2016 führt Ralf Rothmund gemeinsam mit seiner Frau eine Frauenarztpraxis in Schaffhausen. Es war vor allem der Wunsch seiner Frau, sich selbständig zu machen. «Es war ein Zufall, dass ein Frauenarzt altershalber hier in Schaffhausen seine Praxis aufgab und wir sie übernehmen konnten.» Die Praxis in die Schweiz zu verlegen, sei aber schon vorher im Raum gestanden. Es sei ihnen von einem Kollegen empfohlen worden, der selbst in Zürich arbeite.

«Anfangs hatten wir schon einige Sorgen vor dem Schritt ins Ausland und dem in die Selbständigkeit», gibt Rothmund zu. Er sei aber positiv überrascht gewesen von der Unterstützung durch die Ämter, die teilweise auch sehr unbürokratisch vonstatten ging: «Wenn es Probleme gab, wurde uns immer geholfen.»

Umzug nach Schaffhausen geplant

Da der Einstieg so reibungslos verlaufen war, wurde schnell klar, dass sie in Zukunft ganz nach Schaffhausen ziehen wollen. Eine Wohnung besitzen sie schon, da seine Frau ihren Wohnsitz bereits in die Schweiz verlegt hat. Nächster Schritt sei, die Kinder aus der deutschen an eine Schweizer Schule zu wechseln.

Ralf Rothmund wird aber auch in Zukunft seine zusätzliche Tätigkeit an der Universitätsfrauenklinik in Tübingen nicht ganz aufgeben. Für diese nimmt er gerne jeden Dienstag die 150 Kilometer unter die Räder, um von Schaffhausen nach Tübingen zu gelangen. «Mir gefällt aber auch die Arbeit in der Praxis sehr», relativiert er.

Es gebe aber einen eklatanten Unterschied zwischen der selbständigen Tätigkeit in Deutschland und der Schweiz. Um in seinem Heimatland finanziell bestehen zu können, müsste er sechzig bis achtzig Patienten am Tag behandeln, in der Schweiz seien es gerade mal zwanzig. «Ich habe das Gefühl, dass ich mir wirklich Zeit nehmen kann, mich um meine Patientinnen zu kümmern, anstatt sie einfach nur so durch das Behandlungszimmer zu schleussen», meint Rothmund.(lpe)

Grenzgänger: Psychiatriepfleger

Paradies für Pfleger

Pflegefachkräfte sind in der Schweiz rar. Dies ebnet vielen Deutschen den Weg über die Grenze, so auch Daniel Tröndle.

Daniel Tröndle Daniel Tröndle wohnt in Lauchringen, arbeitet aber als Psychiatriepfleger im Psychiatriezentrum Breitenau in Schaffhausen. Gleich nach dem Abschluss seiner Ausbildung wurde ihm die Stelle angeboten. «In der Schweiz verdient man im Gesundheitssektor einiges mehr als in den umliegenden Ländern. Ich hätte für ein vergleichbares Angebot in Deutschland einen viel weiteren Weg auf mich nehmen müssen. Zusätzlich reizte mich das Unbekannte», sagt Tröndle. Die 35 Kilometer Arbeitsweg bestreitet er mit dem Auto. Er geniesse die Distanz zwischen Arbeitsort und Wohnort: «Ich kann die Arbeit am Abend auf dem Heimweg hinter mir lassen.»

Zeit für Gespräche

Die Schweiz war ihm schon vertraut, da er nahe der Grenze in Erzingen aufwuchs. Anfangs fiel ihm so nicht etwa das Verstehen des Dialekts schwer, sondern die Umstellung auf das neue Betreuungsverhältnis. «Ich musste mich erstmals daran gewöhnen, dass ich mir Zeit für längere Gespräche mit den Patienten nehmen kann», erklärt Tröndle. Dies finde er aber positiv, da seiner Meinung nach vor allem in der Psychiatrie solche Gespräche ausschlaggebend für die Genesung der Patienten seien. Tröndle arbeitet nun schon seit zehn Jahren in Schaffhausen und hat seinen Schritt seither nicht bereut. Er könne nur Positives von seiner Arbeitssituation erzählen.

Umzug in die Schweiz kein Thema

Seine Frau arbeitet ebenfalls Teilzeit in der Pflege in der Schweiz. Ganz in die Schweiz zu ziehen, sei aber nie zur Debatte gestanden. In Schaffhausen seien die Lebenshaltungskosten höher. So wie es jetzt ist, könnten sie optimal profitieren. «Es wäre auch schwieriger, in der Schweiz Betreuungsplätze für die Kinder zu finden», sagt Tröndle.(lpe)

Rund um die Grenzgänger: Woher sie kommen, wohin sie gehen

In der Schweiz waren per Ende 2016 318 483 Grenzgängerinnen und Grenzgänger beschäftigt. Die Frauen machten dabei rund ein Drittel aus, konkret 113 436. Seit 1996 hat sich der Frauenanteil an der Gesamtsumme kaum verändert. Es sind also schon damals doppelt so viele Männer in die Schweiz arbeiten gekommen wie Frauen.

Viele Franzosen

Die meisten Grenzgänger, über die Hälfte, sind französischer Herkunft (174 846). Rund 23 Prozent sind Italiener (71 873) und 19 Prozent Deutsche (61 540). Die restlichen 4 Prozent stammen vor allem aus Österreich (8210). Von den rund 5000 Grenzgängern, die in Schaffhausen arbeiten, wohnen nur 70 nicht in Deutschland.

Genf vor dem Tessin

Der Kanton, der die grösste Anzahl Grenzgänger anzieht, ist Genf. Dort gibt es um die 90 000 Arbeitnehmer, die regelmässig aus dem Ausland anreisen. Jeder vierte Arbeitsplatz ist im Kanton Genf mit einem Grenzgänger besetzt. An zweiter Stelle folgt das Tessin mit nicht ganz 65 000 Grenzgängern. Der Kanton Schaffhausen folgt auf dem zwölften Platz. Am wenigsten Grenzgänger arbeiten in Uri (32), dies sind 5 weniger, als in der Gemeinde Rüdlingen beschäftigt sind.(lpe)

Kommentare (1)

stadtarchiv@steinamrhein.ch Fr 31.03.2017 - 18:04

Von 0 Grenzgänger auf 12 in Buch sind also eine Steigerung von 0%?

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