Kleine Welt mit grossem Auftritt
Chrampfe – darin ist das Gewerbe geübt. Am Wochenende mussten in Marthalen wieder einmal Überstunden geschoben werden. Für einen grossen, ja grandiosen Auftritt.
Fliessende Grenzen zwischen Arbeit und Spiel
«Chrampfe» kann man auch spielend, wie die Gewerbeschau zeigte. So lag der Fokus vieler Betriebe auf Kindern und Familien. Da knatterte und brummte es überall, Kinderaugen leuchteten angesichts all der Angebote: Rasenmähertraktoren, ein hügeliger Pumptrack, Bagger-Geschicklichkeitsfahren, Harassenklettern, ein Golfkurs durch eine Mini-Baustelle, Helikopterflüge oder Armbrustschiessen galt es auszuprobieren. Da reichte ein Tag kaum aus.
Roger Gehrig, einer der drei OK-Chefs, wollte am Sonntagnachmittag von Stress nichts wissen. «Wir vom OK-Präsidium sind Empfänger vieler Komplimente», umschrieb er seine angenehme Rolle am Wochenende. 15 000 bis 20 000 Besucher schätzt er, hätten über die zweieinhalb Tage verteilt das Messeareal durchstreift – viele von ihnen mehrmals. Befragt, was denn für ihn persönlich der Höhepunkt gewesen sei, meint er: «Die Aussteller – sie waren die Hauptdarsteller. »
Die Landi Weinland bot für einmal so etwas wie Extremsport: Eine Seilbahn vom 40 Meter hohen Landi-Turm weit hinunter in eine grüne Wiese war einer der Höhepunkte, für welche Jung und Alt längere Wartezeiten in Kauf nahmen. Doch auch am Fusse des Turms wurde (nebst vielen anderen Wettbewerben) «gchrampfet»: Innert 90 Sekunden galt es, so viele Kartoffeln wie möglich aus dem Acker zu scharren.
Auch vor der Digitalisierung machte das «chrampfende Gewerbe» nicht halt: So gab es einen eigens kreierten «Gwärb-Trail» , der einen via Smartphone übers Gelände führte. Ausserdem konnte 3-D-Druck und Virtual Reality in der Architektur live miterlebt werden. Der Hauptsponsor Zürcher Kantonalbank liess für seine Gäste gar eine Zugkomposition in einen virtuellen Bahnhof einfahren (Bild unten). (M. G.)
von Jörg Riser
«S Gwärb am Chrampfä»: Das Motto und die Überschrift für die Gewerbeschau Marthalen am vergangenen Wochenende waren natürlich nicht zufällig gewählt, aber wer hätte ahnen können, dass die Ärmel sozusagen bis zum Anschlag hochgekrempelt werden mussten, die Kadenz der Einsätze höchste Intensität erreichte, Küchen hochtourig erhitzten und Personal bis zum Anschlag gefordert war: Man erlebte es exemplarisch, das chrampfende Gewerbe – und es war ganz und gar selber schuld.
Letztmals hatten die Betriebe vor zehn Jahren zum grossen Auftritt in Marthalen geladen. Einige mögen sich daran erinnern, wie grossartig der Auftritt damals gelang und wie das Publikum in Strömen durchs Festgelände, beziehungsweise Gewerbegebiet, flanierte. Man musste sich ziemlich gedulden bis zur Neuauflage, aber das war offenbar gut so. Zehn Jahre, da konnten viele Ideen wachsen, sich viel Kreativität aufstauen, und vielleicht wurde auch dieser und jener Franken zur Seite gelegt. Das Resultat war jetzt zu sehen: Die kleine Welt des Marthaler und Weinländer Gewerbes wuchs über sich hinaus und produzierte einen grossen Auftritt – notabene nicht nur mit 99 Teilnehmern, sechs Vereinsbeizen mit 800 Plätzen, unzähligen Bars und gemütlichen Ecken und Nischen aus quantitativer Sicht, sondern auch aus qualitativer. Respekt.
Originelle Auftritte
Man hatte sich nicht einfach «etwas» einfallen lassen, das OK und die Unternehmer boten die Haute Couture branchenbezogener Messepräsentation, garniert mit Attraktionen, die wirklich welche waren. Wer sich vom Landi-Turm (sehr hoch) an der Seilbahn (sehr lang) in die Tiefe stürzte, wird die Erinnerung ein Leben lang mittragen und die Geburt persönlichen Heldentums feiern können. «Pumptrack» – nichts für ältere Semester –, Helikopter-Rundflüge, ein Gewerbe-Trail, die Highland Games (Bericht folgt am Dienstag); das war ja nur ein Teil der angebotenen Aktivitäten. Denn natürlich übertrafen sich die Aussteller im Bemühen, den eigenen Auftritt möglichst glanzvoll und publikumswirksam zu gestalten – bis hin zum grossen Zelt.
Marthalen hat an dieser Gewerbeschau mit wahrhaft grosser Kelle angerichtet, man kann hier nicht annähernd alle glitzernden Erscheinungen erwähnen. In den Beizen sowieso, wo sich teilweise Szenen abspielten, als hätte man den ganzen Kanton Zürich inklusive Schaffhausen verpflegen müssen. Armbrustschiessen, Kartoffelgraben, die Energie-Zukunft Marthalens, Old-timer-Taxifahrten, Musik und nochmals Musik und unzählige Gelegenheiten, selbst Hand anzulegen – und zu gewinnen. Wer an dieser Gewerbeschau an den vielen Glücksrädern und Wettbewerben nichts nach Hause gebracht hat, darf sich fortan als geprüfter diplomierter Pechvogel betrachten. Und alles summierte sich zum imposanten Spektakel.
Und zu Schönheit. Denn auch das gehörte zur Originalität, zum überraschenden Effekt: Blumen (Blumen Habitus) in der Betonhöhle (Wipf Bau AG) – eine begeisternde poetische Erfahrung. Wer hätte das gedacht?