Lärmschutz ist nicht gratis zu haben

Mark Gasser | 
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Schön ist er nicht, der Erdwall bei Hettlingen (im Hintergrund das Industriegebiet) und Adlikon – aber kampflos wollen ihn die Gemeinden trotzdem nicht aufgeben. Bild: M. Gasser

Beim Ausbau der A4 wollen Adlikon und Hettlingen ihre Erdwälle mit Lärmschutzfunktion nicht aufgeben – aber auch einen Gerichtsstreit vermeiden. Verhandlungen mit dem Astra stimmen sie nun zuversichtlich.

Ein Aspekt sorgte im Vorfeld des Ausbaus des A4-­Abschnitts zwischen Kleinandelfingen und Winterthur-Ohringen für viel Wirbel: der geplante Abbruch der ostseitigen Erdwälle zwischen der heute zweispurigen A4 und den Gemeinden Hettlingen und Adlikon. Einerseits wollen gerade in Hettlingen viele Anwohner einen ersatzlosen Abbruch nicht hinnehmen. Anderseits beruft sich das Bundesamt für Strassen (Astra) stets auf geltende Lärmwerte, welche der Ausbau mit neuem Flüsterbelag und ohne Erdwall bestens einhalten würde.

«Nach dem Treffen mit Uhwieser Gemeindever­tretern sagten wir: Mit dem Astra zu verhandeln, ist ein Weg.»

Romi Staub, Task Force A4, Hettlingen

Das will eine ­Anfang Juli 2016 gegründete Task Force A4 nicht auf sich sitzen lassen: Mit der Übergabe einer von der Mehrheit der Hettlinger unterschriebenen «Petition Erdwall» an den Gemeinderat knüpfte sie die Aufgabe an die Behörde, mit dem Astra Verhandlungen aufzunehmen (die SN berichteten). Ziel: Statt eines vollständigen Abbruchs des Erdwalles sollte eine Verschiebung desselben resultieren. Nach der Projektgenehmigung (circa Ende 2018) und vor der Detailprojektierung bestünde eine Beschwerdemöglichkeit ans Bundesverwaltungsgericht und später auch noch ans ­Bundesgericht.

Verhandeln statt prozessieren

Doch hofft man auf eine Rettung des Erdwalls ohne juristisches Hickhack. So liessen sich Mitglieder der Task Force von erfolgreichen Verhandlungen der Gemeinde Laufen-Uhwiesen mit dem Astra inspirieren, das mit dem Ausbau des nördlichen A4-Abschnittes auf rund 900 Metern Lärmschutzwände erstellt hat – teilweise auf Kosten der Gemeinde. «Das Treffen im September 2016 mit Laufen-Uhwieser Gemeindevertretern war für uns der Auslöser dafür, dass wir gesagt haben: Mit dem ­Astra zu verhandeln, ist ein möglicher Weg», sagt Romi Staub von der Bürgerbewegung Task Force A4.

Ob das gelingt, werden die kommenden Monate zeigen. Bei den Gesprächen mit dem ­Astra sind auch andere Gemeinden mit lokalen Anliegen – Adlikon, Henggart, Andelfingen, Humlikon, Neftenbach und Kleinandelfingen – dabei. Das Astra strebt einen frühestmöglichen Baubeginn der Ausbauarbeiten 2021/2022 an.

Astra will für Erdwall nicht zahlen

Das Astra hat in dieser Frage aber nicht ganz freie Hand: Bei einer Verschiebung des Erdwalls müsste es den Kulturlandverlust 1 zu 1 kompensieren beziehungsweise anderswo Kulturland aufwerten. Gewiss wäre ein Abbruch lärmrechtlich legitim, so die knappe Begründung der Astra-Filiale Winterthur: Ohnehin seien einst «die künstlichen Erdwälle in erster Priorität und ursprünglich als Materialdepot erstellt» worden. Dies, obwohl ein technischer Bericht aus dem Jahr 1988 vor dem Bau der Autostrasse den Wall westseitig von Hettlingens Industrie- und Gewerbezone als 1,5 bis 2 Meter hohen Lärmschutzwall bezeichnet.

Das ­Astra bestätigt, dass eine gesetzliche Grundlage für einen Lärmschutz aufgrund der ­aktuellen Grenzwerte nicht bestehe. «Entsprechend kommt dem Astra keine Wiederherstellungspflicht zu», so die Begründung für die Rechtmässigkeit des Abbruchs der Erdwälle. Diese brachten aber zusätzlich eine lärmmindernde Wirkung mit sich – also in gewisser Weise einen Nebeneffekt. Lärmrecht überwiegt also – und unter der lärmrechtlichen Einstufung als Neuanlage seien keine Damm­schüttungen als rechtlich erforderliche Lärmschutzmassnahmen gefordert. Bei einem Prognosehorizont 2040 genüge ein «lärmakustisch optimierter Belag ohne Dammschüttungen auf der Ostseite», sagt eine Astra-Sprecherin.

Das Astra signalisiert nun Kompromissbereitschaft – und macht gleichzeitig deutlich, dass zusätzliche Lärmschutzmassnahmen wohl auf Kosten der betroffenen Gemeinden gehen: Gemäss dem Ausführungsprojekt, das im Februar 2016 öffentlich aufgelegt wurde, werden 180 000 Kubikmeter Material ausserhalb der direkten Baustelle «bewirtschaftet», sprich: abtransportiert. Sofern dem Nationalstrassenprojekt keine Nachteile erwachsen (etwa Zusatzkosten zulasten des Bundes oder Terminverzögerungen), könnte das Material auch für Projekte Dritter zur Verfügung gestellt werden – zum Beispiel für einen Ersatzerdwall. Denn allein schon aus umwelttechnischer Sicht machten unnötige Materialtransporte keinen Sinn, gesteht das Astra.

Klar ist, dass die Gemeinde Hettlingen eigene Mittel in die Hand nehmen müsste, um den Erdwall in irgendeiner Form zu retten. Doch weil der Transport die kritische Distanz von 15 Metern nicht erreichen würde und damit Lastwagen kaum eingesetzt werden müssten, ist Romi Staub von der Task Force A4 überzeugt: «Den Erdwall wieder aufzu­schütten, käme günstiger, als wenn der ­Lastwagen die Erde wegtransportieren müsste.» Denn wenn die Strasse ohne Schutz so ausgebaut werde, wie sie in Hettlingen ursprünglich vom Astra geplant sei, «dann kann man in Hettlingen nicht mehr leben». Bei Westwind hörten schon heute einige an exponierten Lagen mit Sichtkontakt die Autos über die A4 brausen: «Tag und Nacht hört man dort ein Rauschen.»

«Wir wollen die Bevölkerung fragen, wie viel Geld sie bereit ist, fürs Projekt und für den Erdwall zu zahlen.»

Peter Läderach, Gemeindepräsident Adlikon

Und wie viel würde der Wiederaufbau eines Erdwalls kosten? Eine erste Schätzung durch zwei unabhängige Bau­ingenieure für die Task Force A4 habe eine reine Bausumme von rund 250 000 Franken fürs Verschieben des gesamten Erdwalls ergeben – ein Extremvorschlag, der wohl einer Mischung aus mehreren Massnahmen mit Lärmwall, -wand oder Begrünung weichen würde. Die Verhandlungsposition sei gut, weil der neue Projektleiter vom Astra mit allen betroffenen Gemeinden am Verhandlungstisch Lösungen finden möchte. «Das ist eine wesentliche Verbesserung gegenüber der Situation von vor einem Jahr», sagt Romi Staub. Auf Anfrage will sich das Astra selber dazu nicht äussern, da die Kosten für die Planung, Bewilligung und Realisierung neuer Erdwälle nicht im A4-Ausbauprojekt vorkommen.

10 000 Lastwagen durch Adlikon

Obwohl bisher erst in Hettlingen medienwirksam für den Ersatz des Erdwalls demonstriert wurde, ist das etwas nördlicher gelegene Adlikon ebenfalls stark betroffen. Nicht nur werden hier während der Bauphase über 10 000 Lastwagen durchs Dorf fahren. Auch erstreckt sich weit mehr als ein Kilometer Erdwall entlang der A4 auf Adliker Gemeindegebiet. Der Adliker Gemeindepräsident Peter Läderach wehrt sich zwar auch gegen einen ersatzlosen Abbruch des Erdwalls, kann den Verhandlungen mit dem Astra aber relativ entspannt entgegensehen: «Wir haben rechtzeitig Einsprache gegen den Abbruch eingereicht.»

Knappes Kulturland kompensieren

Adlikon muss sich einer anderen Her­ausforderung stellen, will es den Erdwall in irgendeiner Form: Beim Ausbau der A4 gehen knapp sechs Hektaren an wertvoller Fruchtfolgefläche (FFF) und bei den Bachrevitalisierungen zusätzliche 1,6 Hektaren FFF verloren. Diesen Verlust muss das Astra per Gesetz kompensieren, indem es degradierte Böden zu vollwertigen FFF aufwertet. «Der Kanton muss letztlich die aufgewerteten Böden als ökologische Ausgleichsflächen akzeptieren», weiss der Adliker Gemeindeschreiber Stefan Mettler. Vier Ordner füllt das Dossier «Ausbau der A4» in seinem Büro. Klar sei auch, dass Adlikon nicht auf der ­Maximalforderung einer vollständigen Verschiebung des Erdwalls beharren könne. Aus Kostengründen und um die vor­geschriebene Kompensation von Fruchtfolgeflächen zu erreichen, «müssen wir als Gemeinde mit eigenen Vorschlägen dem Astra helfen», so Mettler.

Um einen gemeinsamen Nenner zu finden, ohne mit Einsprachen operieren zu müssen, verhandeln die vom A4-Ausbau betroffenen Gemeinden nun mit dem Astra. Nach einer ersten Aussprache Anfang Juli mit den Anstössergemeinden habe sich das ­Astra grundsätzlich gesprächsbereit gezeigt, so Gemeindepräsident Läderach. Nun werden sich die Parteien im Herbst erneut treffen, um technische Massnahmen auszuloten und das Lärmproblem zu diskutieren. «Ich bin zuversichtlich, dass wir in den Verhandlungen mit dem Astra eine gute Lösung für alle Parteien erreichen. Auch das Astra spart Zeit, wenn wir keine Rechtsmittel einlegen müssen», so Läderach.

Nach Prüfung mehrerer Vorschläge werde in Adlikon die Bevölkerung wohl noch diesen Herbst an einer Gemeindeversammlung über mögliche (Misch-)Varianten aus Wänden und Wällen zum Lärm- und Sichtschutz und deren grobe Kostenfolgen informiert werden. «Dabei gehe es um die Frage: Wie viel ist die Bevölkerung bereit, fürs Projekt zu zahlen?», so Läderach.

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