Gemeindegrenze soll aufgesprengt werden

Mark Gasser | 
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Die Gemeinde Oerlingen passe besser zu Marthalen als zu Kleinandelfingen. Bild: Wikipedia

Das Dorf Oerlingen passe besser zu Marthalen als zu Kleinandelfingen, findet ein Oerlinger. Und fordert mit einer Einzelinitiative eine neue Gemeindezugehörigkeit für den 400-Seelen-Ort.

Während mehrere Regionen im Zürcher Weinland derzeit prüfen, ob sie Gemeinden zu grösseren Gebilden zusammenlegen sollen, hat sich ein Mann in Oerlingen dem Separatismus verschrieben. Genauer: Er will sein Dorf in eine neue Politische Gemeinde locken. Das 400-Seelen-Dorf Oerlingen gehört zu Kleinandelfingen. Doch für Leo Mahler ist das keinesfalls logisch.

Es sei in Oerlingen praktisch alles nach Marthalen orientiert. Die Gruppenwasserversorgung Kohlfirst bediene das Dorf über Marthalen, das Abwasser fliesse in die ARA in Marthalen, Strom, Bahn, Post und Postauto seien nach Marthalen ausgerichtet. «Sogar die Telefonnummern sind von Marthalen», sagt Mahler. Damit meint er die ersten drei Ziffern nach der Vorwahl (052 319… statt 052 317… wie in Kleinandelfingen). Die Schulhäuser in Marthalen sind näher, die Feuerwehr ist nur noch einen Kilometer von Oerlingen weg. Die Feuerwehr Andelfingen und Umgebung hat ihr Depot hingegen fünf Kilometer entfernt. «Bis die Andelfinger hier sind, ist das Haus abgebrannt», heisst es salopp in Mahlers Einzelinitiative, welche er zuhanden des Gemeinderates Kleinandelfingen eingereicht hat und welche in Absprache mit dem kantonalen Gemeindeamt für gültig erklärt wurde. Daher kommt es am 29. November an der Gemeindeversammlung zur Grundsatzabstimmung: Stimmt eine Mehrheit Mahlers Anliegen zu, ist der Oerlinger Gemeinderat verpflichtet, mit dem Marthaler Gemeinderat Vertragsverhandlungen aufzunehmen. Lehnt der Gemeinderat Marthalens aber solche Verhandlungen ab, wird das Verfahren eingestellt.

Gemäss der Initiative soll die Gemeinde Marthalen das Gebiet innerhalb der ehemaligen Grenze der Zivilgemeinde Oerlingen schlucken. «Diese Änderung wäre schon bei der Aufhebung der Zivilgemeinde Oerlingen nötig gewesen, doch jetzt ist der richtige Zeitpunkt», so der Initiativtext.

Fusionsprojekt befeuerte die Idee

Ein aktuelles Fusionsprojekt hat Mahlers Überzeugung befeuert, eine Initiative zu starten. Die sechs Gemeinden Andelfingen, Kleinandelfingen, Humlikon, Henggart, Adlikon und Thalheim an der Thur sowie vier Schulgemeinden prüfen derzeit eine Grossfusion. Und gerade ein Argument, das Fusionsbefürworter immer wieder vorbringen, würde für eine Neuorientierung Oerlingens sprechen, findet er: ­Einige Zweckverbände und Anschlussverträge zwischen Kleinandelfingen und anderen Gemeinden könnten eliminiert werden, da sie nur wegen Oerlingen bestehen. In Mahlers Worten: «Wenn man schon einen grösseren Zusammenschluss in sechs Gemeinden anstrebt, bei dem die finanziellen Folgen nicht bekannt sind, dann frage ich mich: Wieso soll man dann einen Ortsteil – eben Oerlingen – nicht zu der ­Gemeinde dazuschlagen, zu der er versorgungsmässig in jeder Hinsicht gehört?»

«Warum soll man nicht den Ortsteil zu der Gemeinde schlagen, zu der er versorgungsmässig schon gehört?»

Leo Mahler, Oerlinger Initiant

Noch bis in die 1990er-Jahre hat Oerlingen seine Infrastruktur über die Zivilgemeinde weitgehend selbst verwaltet: Diese besass einst eigenen Wald, eine eigene Wasserversorgung und -quelle, sogar eigene Liegenschaften wie das «Zentrum Oerlingen». Als die Zivilgemeinde 1994 aufgelöst und der Verwaltung Kleinandelfingens zugeteilt wurde, wurde auch die eigene Quelle aufgehoben. Kleinandelfingen habe dann als Erstes das Türmli-Huus (ein privat genutztes Haus im Besitz der Zivilgemeinde) verkauft, erinnert sich Mahler, der seit 41 Jahren hier lebt. Im Gespräch mit Dorfbewohnern habe er sich von einigen bestätigt gefühlt, als er die vielen Bindungen zu Marthalen aufgezeigt habe. «Da sagten einige: ‹Wir gehören eigentlich schon eher zu Marthalen.›» Andere seien unentschieden, einige dagegen: Ein Bauer meinte kritisch, er habe noch Pachtland auf Kleinandelfinger Gemeindegebiet, ausserhalb der Grenze der ehemaligen Zivilgemeinde.

Erst die Stimmbürger fragen

Die gefühlte Distanz zur Kleinandelfinger Verwaltung verstärkt sich bei Mahler auch, weil diese mit dem öffentlichen Verkehr von Marthalen her via Bahn nach Andelfingen und per Bus nach Kleinandelfingen erreichbar ist. «In der Zeit gehe ich zu Fuss zur Verwaltung in Marthalen.» Doch das Gehen fällt ihm im Moment schwer. Ein Un- fall mit Beckenbruch und Spitalaufenthalt als Folge ist mitverantwortlich dafür, dass er bis dato erst 26 Unterschriften für die Initiative gesammelt hat. Weil es aber eine Einzelinitiative ist, wären Unterschriften ohnehin nicht nötig.

Weder der Gemeinderat von Marthalen noch jener von Kleinandelfingen hätten das Anliegen diskutiert, lautet dort die offizielle Antwort. Für die Marthaler Gemeindepräsidentin Barbara Nägeli ist aber klar, dass eine Integration Oerlingens ihre Gemeinde etwas kosten würde – schliesslich ist nebst Liegenschaften und Werkleitungen auch das Oerlinger Schwimmbad in Kleinandelfinger Besitz, und regelmässig floss auch Steuergeld für anderes nach Oerlingen: etwa für die Wasserversorgung, Strassenbau und Strassenreparaturen, für Abwasser, für Aufsandungen für Kulturland, oder fürs Gemeindezentrum.

Der Kleinandelfinger Gemeinderat werde eine Weisung erlassen und einen Antrag stellen an der Gemeindeversammlung, sagt Gemeindepräsident Peter Stoll auf Anfrage. Wie lange der Prozess bei einem grundsätzlichen Ja dauern würde, sei offen: Erst bei einem Ja des Marthaler Gemeinderates würden die Vertragsverhandlungen beginnen, etwa zu den Themen Vermögensteilung, Infrastrukturbewertung, oder Schulkreise. Zum Abschluss würde die Bevölkerung in beiden Gemeinden an der Urne über die Zugehörigkeit von Oerlingen entscheiden.

 

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