Die Musik kommt aus dem Innern

Mark Liebenberg | 
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Kristalline Transparenz, jeder Ton hat sein eigenes Gewicht: der Weltklassepianist Sir Andràs Schiff bei seinem gut zwei Stunden dauernden Rezital in der Kirche St. Johann gestern Abend. Bild: Bruno Bührer

Sir Andràs Schiff zog mit seiner Tastenkunst die Zuhörer am ersten Schaffhauser Meisterkonzert in seinen Bann.

«Das Leben ist zu kurz für zweitklassige Musik», sagte der ungarisch-britische Pianist Sir Andràs Schiff im Interview. Diesem Motto blieb der Musiker auch bei seinem Auftritt gestern Abend im St. Johann im Rahmen der Schaffhauser Meisterkonzerte von Werner Bärtschi treu – einem Auftritt, der in guter Erinnerung der Klassikliebhaber bleiben wird.

Das liegt zum einen in der spannungsvollen Auswahl der Klavierwerke aus drei Jahrhunderten: jedes für sich eine kleine abgeschlossene Geschichte, die miteinander wieder zusammenhingen in einer lockeren thematischen Klammer. Abschied, Trennung, Vergänglichkeit, Tod. Den Bogen spannt Schiff von J. S. Bachs kurioser Rarität «Capriccio sopra la lontanaza del suo fratello» über Beethovens Sonate Es-Dur op. 81 mit dem Über- namen «Les Adieux» bis hin zu einem be- rührenden Sonatenfragment von Leos Janacek mit den beiden Sät- zen «Vorahnung» und «Tod». Und dem Tod eine Nase dreht gleichsam Franz Schubert im letzten ausgelassen-tänzerischen Satz seiner Klavier- sonate c-Moll D 958 aus dem Todesjahr des Komponisten.

Und so rätselhaft diese inneren Bezüge auf den ersten Blick scheinen, aus Schiffs Spiel spricht seine grosse Reflektiertheit; «Musik kommt aus der Stille» heisst das jüngste Buch des Musikers, in dem nachzulesen ist, dass der Interpret nicht nur den Notentext möglichst finessenreich und makellos wiedergibt, sondern auch die biografischen Details der Komponisten, das historische Umfeld, ästhetische und spieltechnische Besonderheiten und Moden, Instrumentenkunde und musikalische Querbezüge kennt.

Und doch ist dieser Vortrag dann alles andere als eine Vorlesung – obwohl Schiff auch dies mit seinen «Lecture-Concerts» tut –, sondern die Musik wird dann gleichsam von innen her ausgeleuchtet. Etwas Gründliches, Kontrolliertes zeichnet Schiffs Spiel aus, kristalline Transparenz, jeder Ton hat sein angemessenes Gewicht. Aber da ist bei aller Reflektiertheit die physisch spürbare Energie, das mit den Abgründen der Komponisten mitleidende Herz, der Schalk aber auch, der jederzeit aufblitzt. Die Musik, sie kommt bei Schiff aus dem Innern. Eine Musikerpersönlichkeit, vornehm und liebenswürdig zugleich, die unsere Ohren für das wirklich Substanzielle in der Musik zu öffnen vermag. Fern von pianistischer Akrobatik und emotionaler Kraftmeierei beleuchtet Schiff Beethovens Brüche und Zerrissenheit von innen her, zeigt in «Les Adieux» die Kontraste in irrwitzig scharfen Übergängen auf (die indes im weiten Kirchenraum des St. Johann an Präzision einbüssen). Und zeigt die Verwandtschaften zwischen Janaceks Melos und Schuberts Melodik auf. So, dass auch die mo- dernistische, perkussiv-volkstanzhafte Sonate op. 80 von Béla Bartók aus der programmatischen Reihe tanzt – und als kraft- und lebensstrotzendes Intermezzo genau in der Konzertmitte goldrichtig lag.

Das Schaffhauser Publikum, das sehr zahlreich zum ersten Konzert in der Reihe der Meisterkonzerte gekommen ist, hat es seinem Meister von Weltformat mit sehr herzlichem und langem Applaus gedankt und wurde mit zwei Zugaben belohnt.

Eine Persönlichkeit, die unsere Ohren für das wirklich Substanzielle in der Musik zu öffnen vermag.

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