«Die Lehrer fühlen sich im Stich gelassen»

Zeno Geisseler | 
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Die Protokolle des Schaffhauser Stadtschulrats zum Fall Bachschulhaus zeigen, wie zerstritten die Mitglieder sind – und bringen bisher Verschwiegenes ans Tageslicht. Vieles bleibt aber auch im Dunkeln.

Der Schaffhauser Stadtschulrat dürfte sich den 7. Juli dick im Kalender eingetragen haben. Heute in einem Monat ist der letzte Schultag vor den Sommerferien, und dann findet auch die obligatorische Schulzeit des wohl grössten Problemschülers Schaffhausens ihr Ende.

Dieser Problemschüler ist ein 17-jähriger Mazedonier. Monatelang hatte er das Bachschulhaus in Angst und Schrecken versetzt. Der Fall, an die Öffentlichkeit gebracht durch einen politischen Vorstoss der SVP, sorgte lokal wie national für Aufsehen. Der Sek-Schüler soll Lehrer und Schüler massiv bedroht haben, er soll IS-Propaganda konsumiert haben, und es soll Anzeichen einer Radikalisierung gegeben haben. Gegen den jungen Mann wurden neun Anzeigen eingereicht, und er wurde von der Schule genommen. Noch bis zu den Ferien besucht er nun einen speziellen Unterricht, eine so genannte Time-out-Klasse.

Bedenken wurden früh geäussert

Handelte es sich bei dem Schüler bloss um einen «Einzelfall», gar um ein «Mobbingopfer» (Schulvorsteher)? War er «weder Monster noch Schwerverbrecher» (Stadtschulrat)? Betrieb die SVP «fremdenfeindliche Stimmungsmache mit völlig unverhältnismässiger Dramatisierung zur eigenen politischen Profilierung» (AL)? Oder haben «die zuständigen Behörden die Probleme unter den Tisch gewischt und verharmlost» (SVP)?

Ein Einblick in die Protokolle des Stadtschulrats zeigt, wie mehrere Lehrer schon früh ihre Bedenken äusserten – und wie der Stadtschulrat lange nichts machte. In den Protokollen sind weite Teile eingeschwärzt worden. So darf die Öffentlichkeit nicht wissen, wer an den Sitzungen teilnahm. Auch die Mehrheitsverhältnisse von Abstimmungen wurden in fast allen Fällen abgedeckt. Dies alles «zum Schutze der internen Willensbildung des Stadtschulrats und der weiteren Anwesenden», teilt Schulpräsidentin Katrin Huber (SP) auf Anfrage mit. Der Stadtschulrat sei ein Gremium, das mit einem einzigen Willen in Erscheinung trete.

Und doch sind die Protokolle erhellend. Insgesamt hat der Stadtschulrat den Fall an sechs Sitzungen besprochen. Zum ersten Mal am 30. November 2016. Damals ging es primär um die Frage des Betens. Der Mazedonier habe schon in der Primarschule gebetet – weil seine Eltern dies von ihm verlangt hätten, heisst es im Protokoll. An der Sek ging das Beten weiter. Die Schule erlaubte ihm in den ersten zwei Jahren, in der Pause die Bibliothek zu nutzen. Das Modell machte Schule: Auch weitere Schülerinnen und Schüler der Deutschintensiv-Klasse fragten an, während des Unterrichts zu beten.

Der Stadtschulrat kam zum Schluss, dass Beten in der Schule nicht geht. Grundsätzlich werde kein Schulraum dafür zur Verfügung gestellt.

Am 25. Januar 2017 besprach der Schulrat den Schüler wieder. Der neu gewählte Stadtschulrat Ernst Sulzberger (GLP) berichtete, er sei seit Amtsantritt schon «in einige happige Fälle involviert» – einer davon sei der Schüler am Bachschulhaus. «Je länger, je mehr äussert er sich offenbar auch hinter dem Rücken der Lehrpersonen negativ und droht, sie abzustechen», sagte er.

Ein Lehrervertreter sagte, Lehrer und Kinder seien in grosser Angst. «Sie fühlen sich bedroht und haben Angst um ihr Leben. Der Schüler hat einen Nullblick und macht einen psychopathischen Eindruck.» Er selbst habe ebenfalls Angst, da er und die anderen Lehrpersonen nie wüssten, ob der Schüler seine Drohung, die Lehrperson abzustechen, wahr mache. Der Schüler habe bei anderen Schülern mit einem Messer geprahlt, er spucke Mädchen ins Gesicht und fasse sie an. «Die Lehrer fühlen sich im Stich gelassen und nicht ernst genommen.»

Eine weitere Person, wohl Präsidentin Katrin Huber, sagte, sie wisse seit Anfang Dezember von dem Fall. Ein Lehrer habe sie dazu aufgerufen, den Schüler zu suspendieren. Ihre Reaktion: Vor einer Suspendierung brauche es zuerst ein Gespräch mit den Eltern und dem zuständigen Mitglied des Stadtschulrats.

Ein anderes Mitglied des Schulrats warf ein, der Fall eskaliere jetzt, es brauche eine Sofortmassnahme. «Wir halten lieber den Kopf für eine Suspendierung hin, als wenn etwas anderes passiert.» Aus der Schule genommen wurde der Schüler aber damals noch nicht.

Einen Monat später, am 22. Februar, nahm der Fall eine Wende: Der SVP- Vorstoss hatte die Probleme im Bachschulhaus inzwischen aufs Tapet gebracht, Politik und Öffentlichkeit wussten mehr oder weniger über die Vorkommnisse Bescheid. Der Druck stieg.

Im Stadtschulrat begann es zu brodeln. Ein Sitzungsteilnehmer sagte, den Lehrern sei nahegelegt worden, zur Polizei zu gehen, wenn sie bedroht würden. Ein anderer Teilnehmer ergänzte, «wenn eine Lehrperson kommt und sagt, dass sie Angst hat, und wir unternehmen nichts, das kann nicht sein (...). Es wurde immer mehr geschwiegen, das ist sehr problematisch.»

Der Lehrervertreter sagte, dass er Mühe habe mit der Art und Weise, wie «hier kommuniziert wird». Und: «Ich gebe jetzt 30 Jahre Schule, und es war mir noch nie ein Typ so unheimlich. Es ist ein unschönes Gefühl, wenn jemand mit dem Messer zur Schule kommt.» Die Lehrpersonen würden sich alleingelassen und nicht ernst genommen fühlen. Dies insbesondere, weil der Schulvorsteher in den SN gesagt habe, der Schüler sei auch ein Mobbingopfer. Schulpräsidentin Huber kritisierte in der Folge die SVP. Während die Medien schon am Dienstagabend den Vorstoss erhalten hätten, habe sie selbst davon nichts gewusst. Die SVP-Vertreter im Schulrat sagten, dass ihre Vorstösse zuvor bereits auf der Parteiwebsite öffentlich einsehbar gewesen seien.

Zwei Tage später informierte der Schulrat die Medien an einer Medienkonferenz über die Vorkommnisse – und über die Suspendierung des Schülers.

Kritik an den Medien

An der Sitzung vom 8. März wurden die Medienberichte in der «schaffhauser az» und in den SN kritisiert. So habe die AZ geschrieben, dass es keinen Gebetsraum gegeben habe, was offensichtlich falsch sei. Die SN wiederum habe «vieles aufgebauscht, und längst nicht alles entsprach der Wahrheit». Ein Mitglied des Schulrats distanzierte sich allerdings auch von der Medienmitteilung, welche zum Fall veröffentlicht worden war. Diese sei dem Gesamtschulrat nämlich nicht zur Genehmigung unterstellt worden.

Erneut in die Kritik geriet SVP-Vertreter Mariano Fioretti. Er habe Katrin Huber «bewusst ins offene Messer laufen lassen», weil er im Namen der SVP den politischen Vorstoss an die Medien verschickt habe, nicht aber an Huber. Dies widerspreche «jeglichem Kollegialitätsprinzip».

An der Sitzung vom 22. März stellt ein Mitglied des Schulrats den Antrag, in der AZ eine Richtigstellung zu veröffentlichen. Unter anderem sei dem Schüler seit der 1. Sek das Vorsteherzimmer für seine Gebete zur Verfügung gestellt worden. Weiter handle es sich nicht um einen Einzelfall. Der Antrag wird abgelehnt. Die gleiche Person stellt den Antrag, die Medienmitteilung der Stadt zum Fall sei zu korrigieren. Die Fakten seien auf den Tisch zu legen. Der Antrag wird abgelehnt.

Am 11. Mai wird der Fall zum bislang letzten Mal im Stadtschulrat diskutiert. Mit 6 gegen 2 Stimmen beschliesst der Stadtschulrat, den Schüler in der Time-out-Klasse zu belassen.

Zusätzlich erhält der Schüler Privatunterricht. Bezahlt von der Stadt.

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