Als in der Kirche St. Johann der «letzte Choral» verklang …
Kopf der Woche: Viel Aufwand und viel Nostalgie - Urs Kaspers Hommage an den «alten» St. Johann kommt ins Kino.
Ich habe den alten St. Johann geliebt, er war eine Oase der Stille mitten in der Stadt», gesteht Urs Kasper. Der langjährige Kanti-Musiklehrer und frühere Organist an der Stadtkirche St. Johann seufzt, wenn er sich seine Bilder ansieht: Der Geist einer versunkenen Zeit atmete im dunklen Holz der Bänke, im düsteren Kirchenschiff. Die wuchtige Orgel thronte auf der riesigen Empore, Patina lag an den Wänden, auf den Säulen, in den Nischen. Das ist alles nicht mehr da. Im Vergleich zu damals wirkt der Kirchenbau heute nackt und hell.
Dreissig Jahre ist es nun her, seit Kasper an drei Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr wie ein Besessener versuchte, den Raum, die altgediente, weit herum bekannte romantische Orgel aus dem Jahr 1879, in Fotografien festzuhalten, bevor die Kirche von 1986 bis 1990 umfassend saniert wurde. «Ich wollte diese einzigartige Stimmung einfangen und für die Nachwelt retten.» Entstanden ist nach dem Umbau eine aufwendig gestaltete Bild-Ton-Schau, in der Kasper wunderschöne Fotoaufnahmen mit einem anekdotischen bis tiefsinnigen Text kommentiert (die Orgel erzählt ihre Geschichte selbst) und mit seiner Orgelkomposition «Der letzte Choral» zu einer 44-minütigen Collage zusammenfügte.
«Die Idee war ein Gesamtkunstwerk aus Bild, Musik und Text, in dem ich alle Teile selber kreiere und ausführe» – ein Abgesang des Organisten an sein geliebtes Instrument und, vor allem, an den «alten» St. Johann. Die Orgel mit ihren 5500 Pfeifen wurde im Zuge des Umbaus fachmännisch zerlegt. Teile davon fanden in der neuen Orgel wieder Verwendung. Die Dekonstruktion ist im Film das Postludium, mit synthetischen Klängen unterlegt. Viele Male hat Kasper sein «Bild-Ton-Gedicht», wie er es nennt, vorgeführt. «Die Leute waren stets ergriffen», sagt er. Dann geriet das Werk in Vergessenheit. Kasper wurde nach 40 Jahren als Kantonsschullehrer pensioniert, seine Frau verstarb vor sieben Jahren. Kasper lernte den Umgang mit neuester Computertechnik und machte sich nun abermals an sein Chef-d’Œuvre und digitalisierte es. «Schon verrückt, früher brauchte ich zur Vorführung drei Projektoren, eine aufwendig hergestellte Mehrfachtonspur und ein kompliziertes Drehbuch. Heute hat alles auf einem Memorystick Platz.» Und lässt sich nun auch problemlos als Kinofilm vorführen: Genau drei Jahrzehnte nach dem Abriss der Orgel, auf der einst einmal Albert Schweitzer gespielt hat, zeigt das Kino Kiwi den Film in einer Matinée am kommenden Sonntag.
Zur Person
Alter 84
Zivilstand Verwitwet
Wohnort Schaffhausen
Hobbys Musik, Fotografie
Aktuelle Lektüre Fachliteratur über Musik und Fotografie