«Bin je nach Musik ein anderer Cellist»

Tito Valchera | 
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Mit dem berühmten Cellisten Christian Poltéra haben die Büsinger Kammermusiktage einen prominenten Programmleiter. Ein Gespräch mit ihm über Kraftorte, Timbres und teure Werkzeuge.

Herr Poltéra, Sie sind bei den Büsinger Kammermusiktagen seit fünf Jahren Programmleiter. Wieso dieses Engagement?

Christian Poltéra: Das Einfache der schönen und kleinen Bergkirche macht den Reiz aus. Es ist ein Kraftort, und die Akustik ist toll. Die Musiker, die dort auftreten, sind das Jahr durch genug in grossen Konzertsälen. Es ist eine andere Art, Kammermusik zu erleben, mehr aus der Nähe. Und Samstagabend gibt es um 22 Uhr ein stimmungsvolles Nachtkonzert. Einmal im Jahr dort zu sein, ist ein bisschen wie eine Oase für mich.

Sie sind selbst seit über 20 Jahren auf den Weltbühnen als Cellist unterwegs. Wieso haben Sie das Cello als Instrument gewählt?

In der Primarschule wurden verschiedene Instrumente vorgestellt. Dabei hatte ein vier Jahre älterer Bub auf einem Cello wahnsinnig gut und ausdrucksstark gespielt. So wollte ich das Gleiche wie er. Es hat sich dann her­ausgestellt, dass er wie ich Berufscellist geworden ist.

Was waren Ihre Schritte dorthin?

Verschiedene Sachen müssen zusammenspielen. Es kommt drauf an, wie einer veranlagt ist. Man sollte in der Jugend Disziplin haben und vorwärtsmachen am Instrument. Gewisse technische Fertigkeiten kann man ab Mitte zwanzig nicht mehr nachholen. Als Solocellist ist es wichtig, dass man gerne im Rampenlicht sitzt, das ist nicht jedermanns Sache. Weiter braucht es gute Lehrer, die einen fördern. Da hatte ich auch sehr viel Glück gehabt.

Es gibt aber nicht viele Solocellisten. Wie konnten Sie sich durchsetzen?

Es braucht etwas Individuelles, das man beispielsweise im Klang hat. Es ist wie bei einem Sänger, der ein eigenes Timbre entwickelt. Das gehört auch dazu. Einige sagen auch, dass das Cello der menschlichen Stimme am nächsten kommt.

Wie würden Sie Ihr Timbre beschreiben?

Ich versuche die Vielseitigkeit weiterzuentwickeln. Ich möchte je nach Musik ein anderer Cellist sein, also anders klingen, wenn ich Barock oder Romantik spiele. Bei einer Bachsuite ist die Reinheit im Klang entscheidend. Bei der Romantik braucht es viel mehr Vibrato.

Wie gross ist der Wettbewerb unter den Berufsmusikern heutzutage?

Das Niveau ist sehr hoch und sehr international. Eine feste Stelle in einem professionellen Orchester zu ­bekommen, ist alles andere als einfach. Für einen Platz als Cellist beim Opernhaus Zürich haben sich vor Kurzem 300 Bewerber gemeldet.

Sie spielen gerne Kammermusik, aber auch im Orchester als Solist. Was sind die Unterschiede?

Es sind ganz andere Umstände. Wenn ich ein Cellokonzert mit Orchester spiele, habe ich vielleicht zwei Proben, mal eine gute Stunde und dann noch eine Generalprobe. Es muss sehr schnell gehen, denn es sind 80 Leute dabei. In der Kammermusik kann man in die Tiefe gehen und sich mehr Zeit beim Proben nehmen.

Sie spielen erfolgreich in der Streicherformation Trio Zimmermann. Worauf legen Sie dort Wert?

Es ist extrem transparent. Im Trio ist jeder ausgestellt, es kommt auf jede kleinste Feinheit an. Das ist einerseits wahnsinnig heikel und andererseits sehr befriedigend. Es steckt viel Arbeit drin, dort liegt aber zugleich auch der Reiz.

Haben Sie Lieblingskomponisten?

Als Cellist kann man sich nicht so spezialisieren, das wäre schade. Als Pianist hingegen kann man nur Beethoven oder Brahms spielen, und man hat das ganze Leben zu tun bei so viel Musikliteratur.

Nehmen Sie das Publikum bei Konzerten wahr, oder sind Sie voll auf Ihr Instrument konzentriert?

Man braucht und spielt für das Publikum. Man spürt, ob es interessiert ist und zuhört. Andererseits finde ich es nicht gut, wenn man sich aktiv damit beschäftigt. Idealerweise bin ich als Musiker in die Musik vertieft. Der Konzertbesucher merkt, dass sich der Musiker wirklich mit der Musik beschäftigt und dass ein emotionaler Reifeprozess da ist. Für eine gelungene Aufführung kommt es zudem nicht drauf an, ob zwei oder zweitausend Leute zuhören.

Wie viel üben Sie?

Das ist ganz unterschiedlich: zwischen gar nicht und vier Stunden täglich. Auch beim Üben kommt es auf die Qualität an. Und Pausen sind ebenfalls wichtig.

Sie sind viel unterwegs, gefällt Ihnen diese Lebensart?

Am Anfang findet man es toll, alle diese Orte zu sehen. Kollegen, bei denen jede Woche gleich aussieht im Büro, sind dann eifersüchtig auf mich. Es ist aber ein Reiz, der sich mit der Zeit verliert. Ich bin an einem Punkt angekommen, wo ich es schätze, zu Hause zu bleiben und nicht mehr allzu lange am Stück zu verreisen.

Wie ist das Verhältnis unterwegs mit anderen Musikern?

Es kommt drauf an, wo ich hingehe. In London oder Berlin gibt es viele Musiker, die ich kenne und, wenn ich Zeit habe, auch treffe. Aber es kommt auch vor, dass ich eine Woche lang in São Paolo allein im Hotelzimmer sitze. Als Streichtrio wiederum gehen wir meist zusammen abendessen.

Haben Sie eine Lieblingsregion für Ihre Konzerte?

Wegen des musikalischen Niveaus, aber auch des menschlichen Umgangs, gehe ich gerne nach Schweden und Norwegen. Es ist dort sehr entspannt und locker. Solist, Orchester und Dirigent haben zwar verschiedene musikalische Aufgaben, sind aber alle auf demselben Hierarchielevel.

Hat sich Ihre Einstellung zur Musik seit Ihrem ersten Konzert verändert?

Ich hab früh angefangen, kleine Vortragsübungen zu spielen. Ich habe diese aber nicht als Auftritt wahrgenommen. Mit dem Alter besteht die Gefahr, dass man diese Unbeschwertheit verliert. Es ist besser, wenn die Motivation aus der Sache und nicht von aussen kommt.

Was bedeutet das Cellospielen heute für Sie?

Diese Unbeschwertheit ist bei mir immer noch da, sonst würde es mir keine Freude machen. Ich bin nicht jeden Tag gleich gut drauf und gleich tief von der Musik berührt. Doch sie bleibt faszinierend. Ich will beruflich nichts anderes machen.

Droht die klassische Musik auszusterben?

Sie ist nie für die gesamte Menschheit entscheidend gewesen. Ich glaube nicht, dass das Ziel sein kann, ein Schubert-Klaviertrio im Hallen- stadion zu spielen. Für die Interessierten ist die klassische Musik aber weiterhin sehr wichtig.

Sie haben ein millionenteures, über 300-jähriges Stradivari-Cello namens Mara. Wie sind Sie dazu gekommen, Sie haben es wohl kaum gekauft?

Nein, da würde ein Leben Arbeit nicht ausreichen, zumindest als Musiker nicht. Es ist eine Kette von Zufällen. Ein ehemaliger Lehrer von mir hat es gespielt. Vor fünf Jahren hätte es nach Asien verkauft werden sollen und wäre in einer Sammlung verschwunden. Doch es fanden sich europäische Käufer. Sie haben mich angefragt, ob ich es spielen möchte.

Was ermöglicht Ihnen ein solches Instrument?

Ich sage immer, dass es nicht sein muss, aber kann. 90 Prozent des Preises sind für die fünf bis zehn Prozent mehr Schönheit im Vergleich zu einem anderen tollen Instrument. Es ist ein Luxus, aber man sollte nicht zu viel daran denken, wenn man das In­strument spielt. Es ist Werkzeug und Kunstwerk zugleich.

Haben Sie sich gleich damit wohl­gefühlt?

Je besser ein Instrument ist, desto komplexer ist es. Die «Mara» kann man nicht einfach in die Hand nehmen und sich sofort zu Hause fühlen. Sie hat sehr viel eigenen Charakter, den man klingen lassen muss. Der Gewinn sind sicherlich die wahnsinnig schönen und eigenen Klänge, die sie hervorzaubern kann.

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