Ein bärtiger Mann in grober Kleidung

Theo Kübler | 
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Philippe Brühlmann in seinem Haus am Aaltewäier. Damit keine Tiere an die Lebensmittel kommen, werden diese in einen Sack gelegt, der am Gebälk hängt. Rechts ist das künftige Schlafgemach des Thaynger Gemeindepräsidenten. Bild: Theo Kübler

Den grossen Sprung in die Vergangenheit wagt der Thaynger Gemeindepräsident Philippe Brühlmann. Seit Samstag wohnt er im Pfahlbauhaus.

Versteckt im Herblingertal, am Aaltewäier zwischen Bsetzi und dem Fisterwald, dort, wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen und sich in der Finsternis Wildschweinhorden herumtreiben, genau dort trat am Samstagmorgen ein bärtiger Mann in grober Kleidung und Fellstiefeln aus dem hohen Gras. Er steuerte auf eine Hütte aus Baumstämmen, Haselruten und Schilfmatten gezimmert zu – die Rekonstruktion eines Pfahlbauhauses. Da wird er wohnen, neben dem Gequake von Fröschen. Ohne Wasserhahn, ohne Tisch und Stuhl und ohne elektrischen Schnickschnack fristet der Thaynger Gemeindepräsident Philippe Brühlmann sein Dasein.

Mit blossen Händen Töpfe formen

Brühlmann löst so ein Versprechen ein, das er vor dem Kauf des Hauses durch die Gemeinde ablegte. Das ­Naturhistorische Museum Bern hätte es sonst abgerissen. Brühlmann wollte das verhindern. Die Gemeindekasse war jedoch nicht gut gefüllt, und so brauchte es Überzeugungskraft, um die entsprechende Summe zugesprochen zu bekommen. Sein Versprechen: Wenn die Gemeinde das Haus kauft, zieht er für 14 Tage dort ein.

Doch wer weiss, vielleicht findet er auch grossen Gefallen am täglichen Zerreiben von Getreidekörnern zwischen zwei Steinen, um sein Brot am offenen Feuer zu backen, mit blossen Händen aus Lehm Töpfe zu formen und im Heulager zu schlafen. Das alles hat er sich zur Aufgabe gemacht, Langeweile dürfte ihn nicht überfallen. Dennoch, vor einem Überfall hat er am meisten Angst – vor einem Mücken-überfall. Doch er hat vorgesorgt: Er wird mit einer Pflanzenfachfrau ein Antimückengebräu herstellen.

Alles versank in Vergessenheit

Um zu erfahren, weshalb ein Gemeindepräsident auf eine solche Idee kommen kann, müssen wir weit zurückschauen. Vor fast 6000 Jahren lebten um die 100 Menschen in einer Dorfgemeinschaft rund 600 Meter östlich vom jetzigen Wohnort Brühlmanns. Ihre Häuser sahen etwa so aus wie das am Aaltewäier. Zwischen 3822 und 3584 vor Christus kamen die Menschen dreimal, bauten hier ihre Häuser und verliessen das Dorf wieder. Dann aber ­kamen sie nicht wieder. Die Häuser krachten zusammen, die Bohlenwege wurden überwachsen. Alles geriet für 6000 Jahre in Vergessenheit. Bis 111 Pfahlbaustationen um die Alpen die Ehre erfuhren, von der Unesco als Weltkulturerbe ausgewählt zu werden, darunter auch der Siedlungsplatz Thaynger Weier.

«Für die Kinder bringen aber Informationstafeln vor Ort keinen grossen Erlebniswert. Als ich darauf hingewiesen wurde, dass im Naturhistorischen Museum in Bern demnächst ein Pfahlbauhaus abgebaut wird, dachte ich: Das müssen wir haben», sagt Brühlmann, «nun steht es hier, ich danke ­allen, die mitgeholfen haben, das Projekt zu verwirklichen, und dem Reiat Tourismus, der die Sache betreut. Hiermit löse ich mein Versprechen ein. Mein erster Termin nach dem Heimmarsch am frühen Morgen des 15. Juli um 8.20 Uhr wird ein Besuch bei der Coiffeuse sein.»

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