Wenn der Islam zur Landeskirche würde

Anna Kappeler | 
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Der Islam soll die gleiche Stellung erhalten wie die christlichen Landeskirchen, forderte unlängst SP-Präsident Christian Levrat. Auf dem Bild beten Muslime in der Moschee im Haus der Religionen in Bern. Bild: Key

Soll der Islam den Status einer Landeskirche erhalten? Während der zuständige Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler diese Frage verneint, sind Pfarrer aus dem Kanton Schaffhausen dafür.

Es ist eine Forderung, die es in sich hat: Der Islam soll die gleiche Stellung wie die christlichen Landeskirchen erhalten. Das hat SP-Präsident Christian Levrat kürzlich in der «SonntagsZeitung» gesagt. Ziel sei die Integration eines modernen Islams (vgl. Box). Vor einigen Tagen hat der Kanton Zürich nachgelegt. Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) hat sieben Leitsätze zum Verhältnis Staat und ­Religion präsentiert.

Die Argumentation für den Schritt: Die Zahl der Konfessionslosen steigt stetig, und die Pluralisierung der Religionsgemeinschaften nimmt zu. Diese Veränderungen betreffen auch den Staat, so Fehr. In einem Leitsatz steht etwa, dass religiöse Überzeugungen eine wichtige Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens bilden. Und in einem anderen, dass die kirchlichen Gemeinschaften zusammen mit dem Staat Garant seien für ein friedliches Miteinander. Fehr hatte sich in der Vergangenheit mehrmals dafür ausgesprochen, den Islam als Landeskirche anzuerkennen. In Zürich in der Verfassung anerkannt sind ausserdem zwei jüdische Gemeinden.

Im Kanton Waadt hat sich zudem die erste muslimische Glaubensgemeinschaft, die Vereinigung der muslimischen Gemeinschaften im Kanton Waadt, um die öffentlich-rechtliche Anerkennung beworben.

Amsler: «Zeitpunkt verfrüht»

Es kommt also landesweit Bewegung in die Debatte – auch im Kanton Schaffhausen? Dazu sagt der für das Kirchenwesen zuständige Regierungsrat Christian Amsler (FDP) auf Anfrage, dass er die laufende Diskussion mit Interesse verfolge. Das Verhältnis zwischen Staat und Religion sei sehr wohl ein Thema im Kanton Schaffhausen. Allerdings: «Ich muss hier klar sagen, dass ich eine solche Fragestellung für verfrüht halte und tendenziell eine Anerkennung des Islams als Landeskirche zum jetzigen Zeitpunkt nicht sehe.»

Amsler betont, dass er sich in hohem Ausmass für ein friedliches und respektvolles Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen im Kanton Schaffhausen engagiere. «Ein von gegenseitiger Wertschätzung geprägter Dialog steht für mich an oberster Stelle.» Für eine entsprechend breit geführte Diskussion sei er offen.

Der interreligiöse Dialog hat im Kanton Schaffhausen denn auch eine lange Tradition. Vor einem Jahr wurde das 10-Jahr-Jubiläum unter anderem mit einer Erklärung gefeiert. In fünf Leitsätzen werden darin ein gemeinsames Verständnis für Religionsfreiheit, für die demokratische Rechtsordnung, für die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Meinungen, für das Zusammenleben und für die Vermeidung von Gewalt formuliert.

Für Islamunterricht an Schulen

Für Markus Sieber, Mitglied des erwähnten Interreligiösen Dialogs, kann die Frage nach einer öffentlich-recht- lichen Anerkennung des Islams nicht einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden. Grundsätzlich sei es wichtig, dass der Staat auch andere Religionsgemeinschaften anerkenne, sagt Sieber. «Für die Integration der zugewanderten Menschen wird so ein wichtiger Beitrag geleistet, und es wird ihnen in der Fremde ein Stück Heimat geboten.» Aber es brauche Zeit, um das gegenseitige Vertrauen aufzubauen und zu stärken. Das Thema beschäftigt Sieber auch als Vertreter der PH Schaffhausen. Als konkreten Schritt etwa würde er einen Islamunterricht analog dem konfessionellen Unterricht an der öffentlichen Schule sehr begrüssen. «So würde sich dieser unserer Art des Unterrichtens besser anpassen, und Vorurteile könnten abgebaut werden», sagt er.

Doch was halten eigentlich Pfarrer in Schaffhausen von der Idee, schliesslich ist die Anerkennung als Landeskirche bisher ihnen vorbehalten? Eine klare Haltung dazu hat Pfarrer Urs Elsener vom katholischen Pfarramt St. Maria. «Eine staatliche Anerkennung würde ich sehr begrüssen», sagt er. «In der heutigen Zeit sollen in der Schweiz auch andere Religionen als das Christentum Platz haben. Wir leben schliesslich alle zusam- men hier.» Der Schritt wäre inte­grationsfördernd. «Öffentliche Inte­gration ist meistens besser als ‹Wursteln im Privaten›.» Mit den Rechten einher gingen allerdings auch Pflichten (siehe Box). Elsener könne nicht beurteilen, ob diese Pflichten von den muslimischen Gemeinschaften tatsächlich mitgetragen würden. «Einen Versuch ist dieses Vorhaben aber auf jeden Fall wert.»

Dass das Vorhaben islamkritischen Kreisen, die durch die staatliche Anerkennung die abendländischen Werte vom Islam umso bedrohter sehen, Auftrieb gebe, könne sein, sagt der Pfarrer. «Aber es geht doch hier nicht um Bedrohung durch eine Minderheit. Von mir aus könnten alle Religionen den öffentlich-rechtlichen Status bekommen, sofern sie ihre damit verbundenen Pflichten und Rechte wahrnehmen.» Nicht tolerierbar wäre eine «Rosinenpickerei», also das Nicht-Wahrnehmen einiger Pflichten.

Im Interesse der Gesellschaft

Für Frieder Tramer, Reformierter Pfarrer in Stein am Rhein, stellt die Rechtsform einer «Körperschaft öffentlichen Rechts» hohe Anforderungen an die betreffende Institution. Gleichwohl sagt er: «Es wäre im gegenseitigen Interesse unserer Gesellschaft und der muslimischen Gemeinschaften, wenn sich Letztere so organisieren könnten.» «Politischer» Einfluss an den Schulen sei nicht zu befürchten. Auch der spezifisch kirchliche Religionsunterricht spiele vielerorts keine Rolle mehr.

«Wichtig wäre dagegen die Möglichkeit, an Schweizer Universitäten auch Lehrstühle für den Islam einzurichten und so Hand zu bieten für eine Ausbildung von Religionsfachleuten für die muslimischen Gemeinschaften», sagt Tramer. Dass diese ihre Imame fast ausschliesslich aus den ­jeweiligen Herkunftsländern der Mi­granten holen müssten, sei weder im Interesse der säkularen Gesellschaft noch der muslimischen Gemeinschaften.

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