Die Schaffhauser schlagen eigene Thesen an

Alfred Wüger | 
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Mit grossem Eifer und Ernst schlagen Schaffhauserinnen und Schaffhauser ihre «Thesen» als Vorschläge zur Verbesserung der reformierten Kirche an eine Bretterwand neben der eigentlichen Kirchentür des St. Johann. Bild: Selwyn Hoffmann

Um Punkt sechs hallten Hammerschläge über den Fischmarkt: Nach Martin Luthers Vorbild nagelten Frauen, Männer, Kinder Wünsche, Kritik und Verbesserungsvorschläge an die Tür der Kirche St. Johann.

Gestern, am Reformationstag, jährte sich zum 500. Mal der Thesenanschlag Luthers. Ob er am 31. Oktober 1517 die 95 Paragrafen, die die Welt verändern sollten, nun tatsächlich mit dem Hammer und mit Nägeln an der Wittenberger Schlosskirche befestigt hat oder ob sie auf weniger plakativem Weg in das Bewusstsein der Menschen drangen, war beim Anlass in Schaffhausen sekundär. Die Historie war sozusagen der Aufhänger für einen zeitgemässen Event.

Vom Fronwagplatz her zogen Zünfter und hugenottische Flüchtlingsfrauen mit Weggen und Glühwein auf fackelbekränzten Leiterwagen zur Kirche, und der frühere Munotwächter Christian Beck verkündete im Namen der Kirche, dass Reformationstag sei und jeder Mann und jede Frau eigene Thesen, Kritik und Verbesserungsvorschläge an die Tür des Gotteshauses nageln könne.

Tatsächlich fand sich bald darauf eine stattliche Schar auf dem Fischmarkt ein, biss in die ausgeteilten Weggen und sprach dem Glühwein oder dem Punsch zu, während der Mentor des Anlasses, Münsterpfarrer Matthias Eichrodt, das Prozedere der demokratisierten Weltverbesserung erklärte.

«Alle, die etwas sagen möchten, mischt euch mehr unter das Volk, damit wir euch hören.»

Eine der Thesen an der St.-Johann-Tür Jemand, dem die Kirche nicht gleichgültig ist

Was war auf den Zetteln zu lesen, die nach kurzer Zeit die Bretterwand neben der eigentlichen Kirchentür bedeckten? «Alle, die etwas sagen möchten, mischt euch mehr unter das Volk, damit wir euch hören, z. B. am Stammtisch.» Oder: «‹Seelsorger› – Pfarrer sollten besser ausgebildet sein, mehr von Psychologie verstehen.» Und: «Die Kirche sollte Frauenrechte und Kinderrechte als eigene Rechte anerkennen.» Am Tisch vor der Treppe schrieb ein Knabe: «Kein Rassismus.» Jemand nagelte einen Auszug von Luthers Thesen ans Holz, wo auf Schwedisch stand: «Wie im Himmel, so auf Erden», so wenig eine These wie die weltlich-pragmatische Forderung: «Rheinbrücke beleuchten.»

 

 

Matthias Eichrodt wies auf die Predigt vom kommenden Sonntag hin, die er im Dialog mit Stadtrat Raphaël Rohner halten wird. «Dabei wollen wir ­einige der Thesen, die Sie jetzt hier anschlagen, aufgreifen. Sie haben also auch Gelegenheit, mit Ihrem Beitrag nicht nur die Kirche, sondern auch die Politik zu reformieren.»

Solche Ironie wäre vor 500 Jahren nicht möglich gewesen, so viel Demokratie wie gestern Abend übrigens auch nicht.

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