«Das war erniedrigend und demütigend»

Martin Edlin | 
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Symbolbild Pixabay

Sehr unappetitlich war der Angriff eines Häftlings auf vier Polizisten. Quittung: ein halbes Jahr Gefängnis und 5 Jahre Landesverweis.

Pflichtverteidiger Thomas Lämmli hatte mit Blick auf «das abnormale und auffällige Verhalten» des Angeklagten «Zweifel an dessen Schuldfähigkeit» und wunderte sich in seinem Plädoyer, dass die Strafverfolgungsbehörden die Zurechnungsfähigkeit seines Mandanten nicht hatten abklären lassen. Tatsächlich: Schon der in der Anklageschrift geschilderte Sachverhalt war kaum nachvollziehbar: Der 38-jährige Nigerianer, der in Schaffhausen in Sicherheitshaft sass, hatte, als er von vier Polizisten aus seiner Zelle im Gefängnis zum kantonalen Migrationsamt zur Eröffnung der Ausschaffungshaft geführt werden sollte, ein Behältnis mit Kot und Urin nach den Polizeifunktionären geworfen und mit dem Inhalt deren Haare, Augen, Nasen, Ohren und Uniformen getroffen. Als einer der Polizisten dennoch in die Zelle zu treten versuchte, bekam er erneut eine Ladung aus einem zweiten gleichermassen gefüllten Behältnis ab. Und irr und wirr klang gestern vor Kantonsgericht auch die Begründung des Mannes für seine Tat: Es seien keine Polizisten gewesen, die ihn abgeholt hätten (sonst seien ihm solche Besuche stets im Voraus angekündigt worden), sondern ihm unbekannte Mörder. Kurz: Er habe um sein Leben gefürchtet und sich bloss zur Wehr gesetzt. «Ich habe keine Ahnung, weshalb ich jetzt vor Gericht stehe.» Nur wolle er endlich «wissen, wer mir die Mörder geschickt hat und weshalb man mich ermorden will».

Der Nigerianer mit Rastalocken, Bart und rollenden Augen, in Italien als «Geschäftsmann» (Handel mit Gebrauchtwagen) und mit Freundin und Kindern in Afrika lebend, überlebte den «abgewehrten Mordversuch» offensichtlich: Sehr lebhaft, laut und immer wieder ungefragt zu langen Erklärungen ansetzend, in Handschellen und gleich von drei bewaffneten Polizisten bewacht, sass er vor Einzelrichterin Dina Weil, die sich geduldig seine Geschichte anhörte. Er sei geschäftlich in die Schweiz eingereist, habe sich bei der Polizei nach einer Übernachtungsgelegenheit erkundigt und sei gleich, ohne sich irgendeiner Straftat schuldig gemacht zu haben, in einen Bunker gesperrt worden. Nicht nur habe man seine Papiere vernichtet, nein, man versuche seither, ihn zu ermorden, indem man ihm vergiftetes Essen und Trinken serviert, ja seine Gefängniszelle mit giftigem Gas gefüllt habe.

Verminderte Schuldfähigkeit

Die Räuberpistole verfing nicht. Für Richterin Dina Weil war die «Mordthese» eine ungereimte Schutzbehauptung und vor allem kein Rechtfertigungsgrund für die Attacke auf die Polizisten, von denen zwei damals beim Vorfall Uniform trugen und deshalb als Beamte erkennbar waren und ein Dritter ein «alter Bekannter» war, den der Beschuldigte kannte: Der Polizist hatte den Nigerianer bereits mehrmals, auch bei Ausschaffungsversuchen, als «äusserst renitent und gewaltbereit» erlebt. «So wahnhaft, wie seine Geschichte klingt, ist der Beschuldigte nicht», urteilte denn auch die Richterin, doch gebe es Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit, sodass die Strafe für Gewalt und Drohung gegen Beamte nicht auf zehn Monate, wie die Staatsanwältin beantragt hatte, sondern auf sechs Monate minus 143 Tage erstandener Untersuchungshaft und auf eine Landesverweisung von fünf (statt sieben) Jahren festgesetzt wurde. Den vier von der Attacke betroffenen Polizisten, die sich aus Angst, mit Ansteckendem beworfen worden zu sein, sofort zur ärztlichen Kontrolle ins Spital begeben hatten («Wir haben noch nie etwas Ernie­drigenderes und Demütigenderes erlebt»), wurden als Genugtuung je tausend Franken zugesprochen.

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