Bibliothekenschwund? Von wegen!

Serena Schelling (ssc) | 
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Die Bibliotheken kämpfen gegen die schleichende Digitalisierung – und das mit Erfolg. Gedruckte Bücher sind nach wie vor gefragt.

Erzählungen gibt es auf dem E-Reader, Musik als MP3-Files, TV-Serien im Streaming: Braucht es da überhaupt noch Bibliotheken? Oder sind das verstaubte Lernstuben, Relikte aus der Vergangenheit, dem Untergang geweiht? Die SN sind dieser Frage auf den Grund gegangen und haben die Bibliotheken in der Region für unsere Gemeindeseite unter die Lupe genommen. Fazit: Die Gemeindebewohner schätzen ihre Büchereien und besuchen sie häufig. Die Gemeinden Rafz, Schleitheim, Diessenhofen und Unterstammheim etwa können besonders hohe Ausleihzahlen feststellen. «Bei uns erhöht sich die Zahl durchschnittlich um sieben Prozent pro Jahr», sagt Monika Gross, die Leiterin der Bibliothek im Stammertal.

Über die Hälfte der Gemeinden im SN-Verteilgebiet (26 von 49 Gemeinden) besitzen eine eigene Bibliothek. Dies sind in erster Linie grössere Gemeinden. «Eine eigene Bibliothek hätte sich bei unseren rund 300 Einwohnern nicht gelohnt», schreibt etwa die Gemeinde Buch. Kleine Gemeinden ohne eigene Bibliothek finanzieren dafür oft die Bibliotheken ihrer Nachbargemeinden mit. So beteiligt sich beispielsweise Siblingen finanziell an den Büchereinkäufen von Schleitheim.

Etwa vier Bücher pro Einwohner im Schnitt

Moderne Medien haben es überraschend schwer. «E-Reader? Die mussten wir aus dem Sortiment nehmen, da sie kaum ausgeliehen wurden», sagt Gross. Überraschend gut laufen dafür Märchen, und zwar auf Kassetten.

Die Spannweite der dargebotenen Medien ist gewaltig: Spitzenreiter ist die Agnesenschütte in der Stadt Schaffhausen mit 266 000 Medien (siehe dazu auch Tabelle links). Den letzten Platz belegen die «Tauschbibliotheken» in Lohn und Ramsen mit mehreren Hundert Büchern. Die Stadt Schaffhausen (rund 36 000 Einwohner) besitzt etwa 14 Bücher pro Einwohner. Das Schlusslicht bildet Neuhausen (10 400 Einwohner) mit einem Buch pro Einwohner.

 

 

Durchschnittlich beherbergen die Gemeindebibliotheken des SN-Verteilgebiets etwa vier Bücher, Kassetten oder sonstige Medien pro Einwohner. Nicht berücksichtigt bei unserer Auswertung haben wir Archive wie zum Beispiel das Stadtarchiv von Schaffhausen oder Spezialsammlungen wie die Eisenbibliothek in Schlatt, eine Stiftung der Georg Fischer AG, die nur Bücher rund um den Werkstoff Eisen besitzt.

Alles eine Frage des Standorts und des Angebots

Viele Gemeindebibliotheken gibt es schon lange. So wurde die Bibliothek im Stammertal um 1843 in Kooperation mit der ­Lesegesellschaft gegründet. Auch die Stadtbibliothek in Stein am Rhein gibt es schon über 150 Jahre. Die meisten Gemeinden hingegen errichteten ihre Bibliotheken Mitte der 1950er-Jahre. Standorte dafür waren oft, wie in Büsingen, schlecht beleuchtete Keller. Eine Lösung auf Dauer, oder ein Kundenmagnet, war dies allerdings nicht. So zog die kleine Bibliothek in Büsingen im Jahr 2013 ins Rathaus – und mit dem Umzug kamen die Interessenten.

Sieglinde Ringling, Vorsitzende des Frauenvereins Büsingen, erklärt das Konzept der Bibliothek: «Die Bibliothek ist meistens nicht betreut, sodass die Leute ihre Ausleihen einfach in eine Liste eintragen.» Das auf Vertrauen basierende Konzept wird in mehreren kleinen Bibliotheken gehandhabt, so etwa auch in Ramsen und Lohn: In Lohn sind die Bücher in einer früheren Telefonzelle untergebracht. Die am meisten vertretene ­Bibliotheksform bleibt jedoch der Mix aus Gemeinde- und Schulbibliothek: «Ich denke nicht», sagt Monika Gross von der Bibliothek im Stammertal, «dass unsere Ausleihzahlen ohne die Schüler ebenso hoch wären.»

Doch wer geht heutzutage überhaupt noch in die Bibliothek? «Wir werden sehr gut frequentiert und haben unsere Stammkunden», sagt Miriam Ganz aus Diessenhofen. «Es kommen überwiegend ältere Frauen oder Familien.» Eher selten kommt dafür eine andere Gruppe vorbei: die Männer. Dies zeigen unsere Gespräche mit den Bibliotheken deutlich. Warum dem so ist, weiss keine unserer Gesprächspartnerinnen so genau.

Lexika gegen Micky Maus und Dagobert Duck

Entscheidend für den Erfolg einer Bibliothek ist die Auslese.

Hallau, Neunkirch und Neuhausen bieten heute nur noch ein kleineres Sortiment an Sachbüchern an. «Zu gross ist die Konkurrenz von Wikipedia», sagen die Bibliothekarinnen. Dafür steige das Interesse an Comics und Hörbüchern. Gemeinsam mit der Erwachsenenbelletristik (vielerorts Krimis) und den Kinderbüchern werden sie am meisten ausgeliehen. In der grössten Bibliothek in Schaffhausen, der Agnesenschütte, werden hingegen Reiseführer am meisten nachgefragt. «Vermutlich, weil die Leute im Ausland kein Internet haben», sagt Sylvia Bührer von der Gemeindebibliothek Neuhausen.

Bei der Bibliothek im Stammertal wiederum flogen die CDs aus dem Sortiment. «So bleibt mehr Geld für die Anschaffung neuer Bücher», sagt Gross.

Die Leiterin der Bibliothek in Diessenhofen, Monika Ganz, ergänzt: «Wir holen uns die Inspiration für neue Bücher in Buchhandlungen und im Austausch untereinander.» So seien sie immer am Puls des Geschehens.

 

Miriam Ganz mit Margrit Lier und Andrea Hedinger (v. l. n. r.).

 

Treffpunkt Bibliothek

Die kleine Bibliothek im Leuenhof in Diessenhofen beherbergt rund 5000 Medien. Darunter Erwachsenen- und Kinderbelletristik sowie CDs, Zeitschriften und sogar Kassetten. Sie ist während vier Tagen die Woche geöffnet, und eine Mitgliedschaft im Bi­bliotheksverein kostet pro Person und Jahr 30 Franken. 2016 wurden rund 14 000 Medien ausgeliehen, wobei 8000 Menschen die Bibliothek besuchten. Dies aber nicht immer nur, um in den Büchern zu schmökern. «Viele besuchen uns auch nur am monatlichen Kaffee- oder Zopftreff», erklärt Miriam Ganz, Leiterin der Gemeindebibliothek.

Die Ausleihzahlen nähmen fortlaufend zu, wenn auch der Medienbestand jedes Jahr verkleinert werde. «Sachbücher und CDs werden heute aufgrund der Konkurrenz des Internets deutlich weniger ausgeliehen als früher», sagt Ganz. Was ihr zudem aufgefallen sei, dass sich die Bedeutung der Bibliothek verändert habe: «Heute sind wir zu ein Begegnungsort.»

 

 

Ludothek als Highlight

Die Bibliothek in Unterstammheim wurde um 1843 in Kooperation mit der Lesegesellschaft vom Stammertal gegründet. Der aktuelle Medienbestand von Bibliothek und Ludothek beträgt rund 9500 Bücher, DVDs, Hörbücher und Spiele. Die Bi­bliothek hat etwa 400 Mitglieder und verzeichnete im Jahr 2016 40 000 Ausleihen. «Unsere Ausleihen haben stark zugenommen», sagt Monika Gross, Leiterin der Bibliothek. Vieles verdanken sie dem Angebot ihrer Ludo- thek, wo zum Beispiel Einräder und Gesellschaftsspiele ausgeliehen werden können.

Das Betreuungsteam besteht aus sechs Frauen: «Um unsere Angestellten und Bücheranschaffungen zu finanzieren, verlangen wir einen Jahresbeitrag von 50 Franken.» Gross schmunzelt, als wir auf den Kundenstamm zu sprechen kommen: «Männer verirren sich nur in Begleitung ihrer Frau und Kinder in die Bibliothek.» Am meisten ausgeliehen würden Hör­bücher für Kinder, dicht gefolgt von ­Erwachsenenbelletristik.

 

 

Bücherecke bei sich zu Hause

«Wohin nur mit den vielen Büchern?», fragte sich Ruth Schärer vor rund fünf Jahren. Ihr Mann drängte sie dazu, sich von ihren über die Jahre angesammelten Werken zu trennen. Kurz darauf kam ihr eine zündende Idee, womit sie die Bücher doch noch behalten konnte: Die Einrichtung einer kleinen Bücherecke bei sich zu Hause im Sonnengut.

Im Januar 2013 richtete Schärer mit drei Freundinnen einen kleinen Büchertreff ein, den sie der Öffentlichkeit zugänglich machen wollte. Seitdem ist die kleine Bibliothek jeden Freitag für anderthalb Stunden geöffnet und immer betreut.

Als wir vor Ort die ungefähre Zahl der Bücher ermitteln, staunt Schärer nicht schlecht, als wir rund 1000 Bücher, Comics und Zeitschriften im zweiten Stock des Familienhauses zählen. «Wer uns regelmässig besucht, der muss ein Jahresabo für 20 Franken (Einzelperson) oder 35 Franken (Familien) lösen», sagt Schärer. Die Einnahmen würden direkt in neue Bücher investiert.

 

 

Fundgrube für Kinder

Die seit 1969 existierende Gemeindebibliothek beherbergt rund 11 000 Bücher, Comics und Hörbücher. Sie wird während fünf Tagen die Woche von einem dreiköpfigen Team betreut. Im unteren Stock findet man die Erwachsenenbelletristik und einen Stock höher die Kinder- und Jugendbücher zusammen mit den Comics. Der Mitgliederbeitrag pro Jahr beträgt für Erwachsene 15 Franken.

Die Bibliothek lege den Schwerpunkt auf die Leseförderung, wodurch das Angebot für Kinder besonders ausgeprägt sei, sagt Bibliothekarin Sylvia Bührer. Dementsprechend überrascht es auch nicht, dass die Kinderbücher der Reihe «Gregs Tagebuch» mit Abstand der grösste Renner sind.

«Hauptsächlich Familien und Erwachsene kommen her», sagt sie weiter und betont, dass es sich bei den erwachsenen Besuchern hauptsächlich um Frauen handle. Was fehle, seien die 15- bis 35-Jährigen.

Abschliessend könne man sagen, dass die Ausleih- und die Besucherzahlen stiegen, sagt der Bibliotheksleiter Michael Streif. Laut Streif gab es 2016 rund 22 500 Ausleihen.

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