Ein Offizier mit einem Herz für Menschen

Dario Muffler | 
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Martin Vögeli stand 45 Jahre lang im Dienste der Armee. Er ist einer von nur wenigen Milizbrigadiers. Dass er es so weit brachte, verdankt er auch seiner guten Menschenkenntnis.

Laut und triumphal – so beginnt Pijotr Iljitsch Tschaikovskys 1. Klavierkonzert in b-Moll. Triumphal stellt man sich auch das Auftreten eines hohen Militärs vor, laut seine Stimme. Immerhin ist Brigadier – in Friedenszeiten – der dritthöchste Rang der Schweizer Armee. Auf Brigadier Martin Vögeli trifft diese Beschreibung nicht zu, auch wenn das angesprochene, pathetische Klavierkonzert eines seiner liebsten Musikstücke ist. Was aber auf ihn zutrifft, ist, dass Musik eine grosse Bedeutung in seinem Leben hat. Einerseits hört er viel Musik, andererseits spielt er seit seiner Kindheit Klavier. Er überlegte sich sogar, die Ausbildung zum Mittelschul-Musiklehrer zu absolvieren. Dass er sich dagegen entschied, liege daran, dass er eher ein Zehnkämpfer sei als ein Spezialist in einer einzelnen Disziplin, wie er sagt. Dass er diese Metapher aus dem Sport verwendet, liegt wohl daran, dass er früher leidenschaftlich Orientierungslauf (OL) betrieben hat, ja sogar zu den Gründungsmitgliedern der OL-Gruppe Schaffhausen gehört.

Vom Volk Gedrängter

In Sachen Wissen zu Sicherheitspolitischen Angelegenheiten der Schweiz und Führungserfahrung in der Armee kann man Vögeli aber getrost als Spezialisten bezeichnen. Einen Grossteil seines Lebens stand der bald 65-jährige Schaffhauser im Dienste der Sicherheit der Nation. Zuletzt als Kommandant der Infanteriebrigade 7 (siehe Kasten links). Obwohl: «Als Jugendlicher wollte ich nie Soldat werden», sagt er. Es sei das Schweizer Volk gewesen, das ihn dazu gezwungen habe. Denn die allgemeine Wehrpflicht sei in der Verfassung verankert. Bald merkte Vögeli aber, dass ihm die Rolle des Chefs gefällt. Sich für seine Heimat einzusetzen, habe er immer als lohnenswert angesehen.

Dieser Mann in seiner Offiziersuniform strahlt Kompetenz, Ruhe und Autorität aus. Vögeli macht auch kein Geheimnis daraus, dass er gerne die Führungsverantwortung hat. «Ich hatte immer Freude daran, Menschen zu führen», sagt er. Ganz offensichtlich hat man ihm die damit verbundene Verantwortung auch zugetraut. «Ich musste mich auf alle Grade bis zum Brigadier bewiesen», sagt Vögeli. Die Herausforderungen, aber auch die Verantwortung wurden immer grösser. Nachdem er in Zürich die Rekrutenschule absolviert hatte und 1976 zum Leutnant befördert wurde, wurde er 1983 zum Hauptmann. Ab 1990 war er Kommandant des Schaffhauser Füsilierbataillons und wurde in den Generalstab aufgenommen.

Passionierter Lehrer

Auch im zivilen Leben trug Vögeli stets grosse Verantwortung: Während 15 Jahren arbeitete er nämlich als Primarlehrer in der Stadt Schaffhausen. Wenn Vögeli von dieser Zeit erzählt, macht er es mit Begeisterung. Er erwähnt dann etwa die Heimatkunde in der Altstadt, das Schwimmengehen in der Rhybadi oder die Schulverlegungen in Basel. Wie er denn als Lehrer gewesen sei? «Streng, aber gerecht», sagt er. Das würden wohl auch seine ehemaligen Schüler sagen. «Ich hatte es immer gut mit ihnen.» An den Kindern habe er besonders geschätzt, dass sie spontan sagen, wie sie etwas einschätzen; ob sie es toll oder einen «Seich» finden, sagt er.

Pflichtbewusster Chefbeamter

Kinder seien darum die besten «Mitarbeiter», sagt der ehemalige Primarlehrer. Und Mitarbeiter – vor allem Unterstellte – hatte Vögeli schon einige. Nachdem er seine Lehrertätigkeit aufgegeben hatte, wurde er 1990 Chef des kantonalen Amtes für Zivilschutz. 1994 übernahm er zusätzlich die Leitung der Militärverwaltung und wurde Kreiskommandant sowie Verwalter des kantonalen Zeughauses. Dieses Amt bekleidete er bis 2010. Ausgeübt habe er es mit einem hohen Pflichtbewusstsein, sagen Weggefährten. Neben diesem Pflichtbewusstsein zeichnete ihn wohl auch ein gewisses Tempo aus. Denn in den SN vom 12. November 2002 liest man über eine Rede von Vögeli folgendes: «Der quirlige Mann am Rednerpult redet im Formel-1-Tempo.»

Dieser Formel-1-Wagen kommt im Gespräch mit Vögeli aber nicht immer in Fahrt. Wenn er aber über ein Thema spricht, das ihn bewegt, schimmert durch, was der Autor des obigen Textes wohl gemeint hat. Wie ein moderner Formel-1-Wagen arbeitet Vögeli präzise, und führt seinen Gesprächspartner mit ausgewählten Worten auf den Kern seiner Aussage hin. Wildes Gestikulieren sucht man vergeblich.

Kommandant mit Herz

Stets das Ziel vor Augen: So lässt sich Roland E. Hofers Beschreibung von Vögeli zusammenfassen. Der Schaffhauser Staatsarchivar hat schon verschiedentlich mit ihm zusammengearbeitet. Dabei sei immer die Erfüllung des Auftrags im Zentrum gestanden. «Wir konnten aber immer gut lachen», fügt Hofer hinzu. Ein langjähriger Gefährte, auf dem militärischen und dem zivilen Weg, ist Peter Marcandella. Die beiden Männer haben sich vor Jahrzehnten im Territorialdienst kennengelernt und bezeichnen sich beide als Freunde. Marcandella sagt von Vögeli, dass dieser sehr zuverlässig arbeite. «Ganz unauffällig und doch mit kreativen Ideen», sagt er. «Ich konnte mich immer auf ihn verlassen.» Was Vögeli denn besonders auszeichne? «Das ist die Liebe zum Menschen», sagt er. «Er pflegte stets einen achtungsvollen Umgang mit allen.» Marcandella betont aber, dass Vögeli stets ein «sehr disziplinierter Offizier» gewesen sei.

Familienmensch

Ja, sagt Vögeli, Disziplin und Einsatz brauche es, wenn man etwas erreichen wolle. Und er hat das nicht nur beruflich. Er ist stolzer Vater einer Tochter. Annina Vögeli heisst sie. «Sie doktoriert in Rechtswissenschaften», erzählt er. «Mit ihr kann ich vieles besprechen, wir haben fast täglich telefonisch Kontakt.» Und sie sagt: «Ja, wir haben ein sehr inniges Verhältnis.» Er habe sie stets gefördert, von ihm habe sie etwa auch ihre Musikalität. «Er hat viel mehr von einem Primarlehrer als von einem Militär», sagt Annina Vögeli. Dass er nicht Berufsoffizier geworden sei, dafür sei seine Ehefrau verantwortlich, sagt er. «Sie bat mich, den Weg des Milizoffiziers zu wählen», sagt Vögeli.

«Er hat viel mehr von einem Primarlehrer als von einem Militär.»

Annina Vögeli, Tochter

Trotzdem musste Morena Vögeli die vergangenen acht Jahre gleichwohl häufig auf ihren Mann verzichten. Als Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements war Vögeli Wochenaufenthalter in Bern. «Sie kam mich aber häufig besuchen», sagt er. Und Morena Vögeli meint: «In einer so langjährigen und glücklichen Ehe war sein Wochenaufenthalt in Bern nur eine logistische Herausforderung.» Die zwei sind seit 1979 verheiratet. Jetzt, wenn er pensioniert ist, wollen die beiden wieder mehr Zeit miteinander verbringen – mit ihren gemeinsamen Hobbys. Dazu zählen die Gartenarbeit, das Klavierspielen oder das Wandern.

Unterlegener Wahlkämpfer

Wenn man das Leben von Martin Vögeli betrachtet, scheint alles zu gelingen, was er in Angriff nimmt. Tatsächlich aber gibt es ein Kapitel, das nicht zu seiner gänzlichen Zufriedenheit geschlossen wurde. 1999 trat Vögeli zur Regierungsratswahl an. «Ich hätte mir das zugetraut», sagt er noch immer voller Überzeugung. Er verlor die Wahl im zweiten Durchgang gegen Herbert Bühl (ÖBS) hauchdünn. Er war als Parteiloser angetreten, ein Fehler? «Ich hatte keine Hausmacht, das war schwierig», sagt er heute. Vögeli sagt, dass er seinen anschliessenden Werdegang nicht bereut habe – im Gegenteil. Von seiner Art, für seine Meinung einzustehen hat er durch seine Niederlage aber an nichts eingebüsst.

Viel mehr als der triumphale Feldherr ist Vögeli also ein kritischer Geist – wie Tschaikovsky, der es wagte, die scheinbar in Stein gemeisselte Genialität von Grössen wie Johann Sebastian Bach anzuzweifeln. «Meine Kritik galt aber unter meinen Kameraden stets als konstruktiv und kameradschaftlich», sagt Vögeli. Etwa die Form des Militärdienstes kritisierte er mehrfach. «Für junge Leute wäre es einfacher, den gesamten Dienst an einem Stück zu leisten, anstatt jedes Jahr einen vierwöchigen Wiederholungskurs zu leisten», sagt er. Philippe Rebord, Chef der Armee, habe über Vögeli einst gesagt: «Er ist ein kritischer Stabsoffizier – und solche brauchen wir.» Ob ihn Rebord vermissen wird? Eines ist zumindest klar: Nach 45 Jahren geht seine Karriere morgen Samstag auf dem Herrenacker zu Ende – notabene mit musikalischer Begleitung des Militärmusikspiels RS16-2/2017.

 

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