Das «Fägi» vom Schönbühl wird 100

Tito Valchera | 
Noch keine Kommentare
Hildegard Scheller wird heute 100 Jahre alt. Eine ihrer Jugenderinnerungen: Während des Zweiten Weltkriegs war sie als Krankenschwester in Genf stationiert und ging jeweils abends mit einer Gruppe von jungen Frauen in den Ausgang. Bild: Bruno Bührer

Im September 1917 ist Hildegard Scheller geboren. Heute feiert sie im Altersheim Schönbühl zusammen mit ihrer Familie ihren 100. Geburtstag. Im Dezember wird sie erstmals Urgrossmutter.

«Keines meiner drei Enkelkinder hat mir jemals Grossmutter gesagt – sie nennen mich einfach ‹Fägi›», erzählt Hildegard Scheller. Die Bewohnerin des Altersheims Schönbühl feiert heute ihren 100. Geburtstag im Kreise der Familie – mit ihren beiden Kindern und den drei Enkelkindern. Der Urenkel wird im Dezember auf die Welt kommen. Sie sitzt in ihrem Rollstuhl in einem lichtdurchfluteten Zimmer mit einer grossen Glaswand. Im Altersheim fühlt sie sich wohl und macht bei den Aktivitäten, wo möglich, mit. «Wir haben ein wunderschönes Verhältnis untereinander, und wir werden gut umsorgt», sagt sie. Das beruhige sie und helfe ihr, alt zu werden. Sie bereut nichts aus ihrem langen Leben, fühlt sich nicht wie eine Hundertjährige und weiss vieles zu erzählen.

Als Verdingkind aufgewachsen

Am 21. September 1917 ist sie als eines von sieben Geschwistern in Zürich geboren. Ihr Vater starb früh. So wurden die Kinder der Mutter weggenommen und an verschiedenen Orten fremdplatziert respektive «verdingt». Sie landete als Siebenjährige auf einem Bauernhof in Otelfingen. «Ich habe mich nicht als Verdingkind gefühlt», sagt sie. Sie mussten zwar hart arbeiten auf dem Bauernhof, denn es gab noch keine Maschinen. Doch sie ging zur Schule, und zum Geburtstag gab es Geschenke. Sie durfte auch mit den Kindern vom Bauernhof nebenan spielen. «Nicht alle Verdingkinder wurden schlecht behandelt», betont sie. Ab und zu kamen Chilbis ins Dorf. Ein Reithof, Schaukelpferde, aber vor allem Läden mit Süssigkeiten waren die Attraktionen. So schön diese Zeit auch war, Scheller hatte den Kontakt zu ihrer Familie verloren.

Obst auf dem Sims

Mit 18 Jahren ist Scheller dann nach Männedorf gezogen und hat eine Ausbildung als Krankenschwester begonnen. Sie habe gleich im Spital gelebt, das sei damals üblich gewesen. Später ging sie nach Oetwil am See und bildete sich als Psychia­trie-Krankenschwester weiter. Eine Jugendliebe hatte sie damals nicht. «Wir waren noch naiv und hatten mit Männern nichts am Hut», erzählt sie.

«Ich lache oft mit meinem Sohn über die guten Gene, die wir haben – verrückt, aber schön.»

Später, in den 50er-Jahren, folgte dann die Heirat. Ihr Mann hatte eine besondere Art, sie zu umgarnen. «Er war Gärtner und brachte mir jedes Wochenende Obst vom Gut, wo er arbeitete, und legte dieses auf mein Fenstersims», sagt sie.

Ein klares Rezept für ihre Langlebigkeit habe Scheller nicht, denn dann müsste sie es patentieren lassen. «Ich habe nichts dafür oder dagegen gemacht, aber ich hatte einen guten Mann und eine gute Ehe, das hat sicher geholfen», sagt sie. Sie hätten auch solide gelebt. Ihr Mann ging abends nie weg und hat lebenslang keinen Alkohol getrunken. Nach der Heirat kam zuerst ihr Sohn, dann ihre Tochter auf die Welt. Ende der 50er-Jahre war dann in Schaffhausen eine Stelle ausgeschrieben. So landete die ganze Familie bei Hans Homberger, dem ehemaligen Besitzer der IWC-Uhrenfabrik. Ihr Mann wurde auf dem Ölberg der Parkgärtner, und die Familie wohnte dort in einem Haus auf dem Gelände. «Es war eine schöne Zeit», sagt sie. 20 Jahre später kauften sie sich ein Haus an der Querstrasse. «Wir verbrachten noch 30 Jahre gemeinsam dort», sagt sie. Ihr Mann verstarb vor fast zehn Jahren – zwei Wochen vor seinem 100. Geburtstag. «Ich lache oft mit meinem Sohn über die guten Gene, die wir haben – verrückt, aber schön.»

 

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren