Die Tageskarte der Gemeinde: Ein beliebtes Verlustgeschäft

Schaffhauser Nachrichten | 
Noch keine Kommentare

Für 45 Franken einen Tag lang die Schweiz sehen – die Gemeindetageskarte macht’s dank dem Goodwill der Gemeinden möglich.

 

von Serena Schelling und Lia Pescatore

Die Schweiz hält viele Besonderheiten bereit. Eine davon ist die Gemeindetageskarte, quasi ein Eintages-GA zu einem relativ günstigen Preis. Spannend ist hierbei, dass die Gemeinden im SN-Verteilgebiet die Tageskarte zu unterschiedlichen Preisen anbieten. Diese variieren seit 2015, als wir die Gemeindetageskarten zum letzten Mal unter die Lupe nahmen, unverändert zwischen 35 Franken (Diessenhofen) und 55 Franken (diverse Gemeinden; Zahlen gemäss Webseiten der Gemeinden). Den Preis legt jede Gemeinde selbst fest.

Doch welche Gemeinden bieten die Karten überhaupt an? Im SN-Gebiet des Kantons Zürich lehnen viele Gemeinden den Verkauf ab, und im Thurgau sind fast alle Gemeinden mit dabei. Ein Blick in den Kanton Schaffhausen zeigt, dass seit 2015 drei Gemeinden dazugekommen sind: Lohn, Stetten und Büttenhardt bieten gemeinsam zwei Karten pro Tag an.

Der Auftraggeber der SBB, ch-direct, hat Ende 2015 die Ankaufspreise der Gemeindetageskarten erhöht. Für einen undatierten Jahressatz an Tageskarten (entspricht 365 Karten) zahlten die Gemeinden Anfang 2015 noch 13 300 Franken. Unterdessen sind es 14 034 Franken. Dies hatte zur Folge, dass viele Gemeinden die Preise der Karten erhöht haben. So zahlen beispielsweise Bewohner der Gemeinden im Klettgau heute 45 statt 40 Franken.

Das Leiden der kleinen Gemeinden

Das Reglement der SBB schreibt vor, dass Einwohner von Gemeinden, welche die Tageskarte nicht selbst anbieten, die Möglichkeit haben, sie aus einer Nachbargemeinde zu beziehen (sofern die verkaufende Gemeinde es ihren Nachbargemeinden anbietet). Das ist allerdings nur möglich, wenn ihre Gemeinde weniger als 2000 Einwohner hat. Auswärtige müssen je nachdem einen Zuschlag von fünf bis zehn Franken zahlen. So muss beispielsweise ein Einwohner von Siblingen seine Karte in Neunkirch bei der Einwohnerkontrolle abholen. Er bezahlt dafür einen Zuschlag von zehn Franken, also 55 statt 45 Franken. Dazu kommen die Anfahrtskosten. Interessierte können im Internet unter «tageskarte-gemeinde.ch» sehen, ob ihre Gemeinde aufgelistet ist oder nicht. Eine Onlinereservation ist möglich, jedoch müssen die Karten bei der zuständigen Gemeinde abgeholt werden.

Gemeindetageskarte als ausdrücklicher Wunsch

Die Zahl der Tageskarten pro Einwohner variiert stark. So bieten Neuhausen (rund 10 500 Einwohner) und Stein am Rhein (3500 Einwohner) beide vier Karten pro Tag an. In Neuhausen kommen rund 2600 Einwohner auf jede Karte, in Stein am Rhein sind es etwa 875 Einwohner (siehe Karte).

Wer wie viele Karten anbietet, das entscheiden die Gemeinden selbst. Finanziert werde das Ganze durch Steuern und anderweitige Abgaben der Bewohner, sagt Marc Bernasconi, Gemeindeschreiber von Rafz. In Rafz seien es auch die Einwohner gewesen, die sich direkt mit dem Wunsch einer Tageskarte an die Gemeinde wandten. Während der Wintermonate des vorletzten Jahres gingen Anrufe, Mails und Bittschriften direkt bei der Gemeinde ein: Es schien, als ob alle Rafzerinnen und Rafzer eine Tageskarte haben wollten. Der Andrang sei so gross gewesen, dass der Gemeinderat schliesslich an einer ausserordentlichen Sitzung tagte und für eine Testphase einwilligte.

Doch warum wurde das Angebot nicht gleich definitiv eingeführt, wie bei allen anderen auch? Anfangs befürchtete der Rafzer Gemeinderat, dass er den Bahnkunden mit GA damit im Weg stünde, sagt Bernasconi. Der Gemeinderat fühlte sich nicht verantwortlich, da die Einführung der Gemeindetageskarte keine gesetzliche Aufgabe sei. Ausserdem hätten sie das Risiko eines hohen Verlustes damals für zu hoch gehalten. «Mittlerweile möchten wir unseren Bewohnerinnen und Bewohnern einfach einen Dienst erweisen, ohne dabei einen Gewinn zu erzielen», sagt der Gemeindeschreiber. Andere Gemeinden schliessen sich dieser Aussage an, denn vom Geschäft wirklich profitieren tut keine. Die Deckung der Kosten beträgt lediglich 81 Prozent im Durchschnitt – die Karte ist also mehr eine Dienstleistung als ein rentables Geschäft. Wie die Gemeinden Lohn, Stetten und Büttenhardt mitteilten, ist ihre Auslastung mit rund 58 Prozent am tiefsten. Spitzenreiter sind die Städte Schaffhausen und Diessenhofen. Der Verkauf der Gemeindekarten ist in Diessenhofen zu 97 Prozent ausgelastet und in Schaffhausen zu 98 Prozent.

Andelfingen will vom Angebot nichts wissen

Armin Jungi, Stadtschreiber von Diessenhofen, sagt: «Wir machen keinen Gewinn mit den Tageskarten und zahlen sogar noch drauf.» Es sei ihnen jedoch wichtiger, für ihre Bewohnerinnen und Bewohner eine gute Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel zu garantieren.

Ganz im Gegensatz zur relativ grossen Gemeinde Andelfingen (2221 Einwohner), welche auf Anfrage das Angebot der SBB als «absurd und politisch nicht sinnvoll» bezeichnet. Patrick ­Wäspi, Gemeindeschreiber von Andelfingen, sagt: «Wir möchten als Gemeinde auf keinen Fall wegen eines nicht profitablen Geschäfts mit unserem eigenen, bedienten Bahnhof in Konkurrenz stehen.»

 

An der Tageskarte Gemeinde sind verschiedene Parteien beteiligt. Die Gemeinden verkaufen sie, die SBB vertreiben sie, doch hinter dem ganzen Angebot, wie auch hinter anderen nationalen ÖV-Angeboten, steckt der Direkte Verkehr. Noch nie gehört? So geht es wohl den meisten Schweizern. Dabei ist der Direkte Verkehr auch für allbekannte Angebote wie das GA und das Halbtax verantwortlich. «ch-direct» ist die Geschäftsstelle des Direkten Verkehrs. Aufgabe von «ch-direct» ist allgemein, die Zusammenarbeit zwischen den rund 250 am GA und halbtaxbeteiligten Transportunternehmen, wie beispielsweise die SBB oder die PostAuto AG, zu koordinieren. Sabine Krähenbühl, Mediensprecherin von «ch-direct».gab uns Auskunft, mit welchem Ziel die Tageskarte Gemeinde auf den Markt gebracht worden ist und welche Anpassungen vorgenommen wurden.

sabi

Sabine Krähenbühl, Mediensprecherin von «ch-direct»

Seit wann existiert die Gemeindetageskarte?

Sabine Krähenbühl: Die Tageskarte wurde zum ersten Mal im Jahre 2003 angeboten.

Was war die Idee dahinter? Welches Ziel oder Zielpublikum wollte man damit erreichen?

Man wollte ursprünglich ein Publikum ausserhalb der Bahnhöfe erreichen und nicht ÖV-affine Personen mit einem attraktiven Angebot die öffentlichen Verkehrsmittel näherbringen.

Was hat sich über die Jahre am Angebot und an den Umständen rund um die Karte verändert?

Vor rund zehn Jahren hat der Direkte Verkehr beschlossen, dass das Angebot der Gemeinde ihren Einwohnerinnen und Einwohnern zugänglich gemacht werden soll. Zudem wurde entschieden, dass das maximale Kontingent pro Gemeinde von der Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner abhängig ist. 2010 haben wir eingeführt, dass die Tageskarte nur noch an Einwohner der entsprechenden Gemeinde abgegeben wird. Ausgenommen von dieser Regelung sind die Einwohnerinnen und Einwohner der kleinen Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohner, die die Karten auch bei Nachbargemeinden beziehen können.

Wie viele Gemeinden sind heute beteiligt?

Es beziehen zurzeit rund 1200 Gemeinden Tageskarten. Insgesamt werden durchschnittlich ca. 4500 Sätze à 365 Karten pro Jahr verkauft. Die Verkaufszahlen sind seit mehreren Jahren stabil.

Worin sehen Sie die Vorteile im Onlinemarkt?

Der Verkauf online sorgt für eine Vereinfachung für alle, und das ist immer gut. Die Verantwortung dafür liegt aber bei den Gemeinden, die verkaufen. Auswertungen haben zudem gezeigt, dass die Onlinekanäle des öffentlichen Verkehrs zweistellige Zuwachsraten haben. Dies zeugt von einem grossen Kundenbedürfnis. Durch die Umstellung können Vertriebs- und Verwaltungskosten tiefgehalten werden, was sich letztlich auch auf die Endrechnung auswirkt.

Der Preis, den die Gemeinden für ein Jahrespaket zahlen müssen, steigt immer wieder an. Heute verlangen die meisten Schaffhauser Gemeinden um die 45 Franken für die Tageskarte. Für einen Halbtax-Besitzer lohnt es sich immer weniger, das Angebot zu nutzen. Wird der Preis trotzdem weiter steigen?

Eine Preiserhöhung ist für Ende 2017 nicht geplant. Die Preisentwicklung orientiert sich grundsätzlich an der Preisentwicklung der gesamten Sortimentspalette. Der Preis der Tageskarte Gemeinde in der durchschnittlichen Höhe von 45 Franken ist immer noch sehr attraktiv, verglichen mit der regulären Tageskarte zum Halbtax von 75 Franken.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft der Tageskarte Gemeinde?

Für die Tageskarte Gemeinde sind aktuell keine Änderungen geplant.

Interview Lia Pescatore

 

Der Kauf einer Gemeindetageskarte ist nicht immer lohnenswert. Wie unsere Berechnungen zeigen, lohnt sich der Kauf einer Gemeindetageskarte für durchschnittliche 45.90 Franken erst, wenn man den Raum Zürich verlässt (ohne Halbtax). Wer ein Halbtax besitzt, der wird weiter als Bern fahren müssen, um den Preis rauszuholen. Wiederum anders sieht das Ganze bei einer Rundreise in der Schweiz aus. Wer reguläre Billette ohne Halbtax kauft, der zahlt für die Route Schaffhausen – Basel – Genf – Sitten – Bellinzona – Chur – St. Gallen – Schaffhausen, insgesamt 372 Franken. Wer zu keiner Gemeindekarte kommt, der kann auf folgende Angebote ausweichen.

Reguläre SBB-Tageskarte

Kosten: 1. Klasse für 127 Franken und 2. Klasse für 75 Franken. Voraussetzung: Halbtaxabo. Günstiger wird es, wenn man ein Multipack kauft (sechs Karten für den Preis von fünf). Anstatt 762 Franken in der 1. Klasse zahlt man 635 Franken und in der 2. Klasse 375 statt 450 Franken. Somit kostet eine Karte in der 1. Klasse 105.35 Franken und in der 2. Klasse 62.50 Franken.

9-Uhr-Karte

Kosten: 1. Klasse für 96 Franken und 2. Klasse für 58 Franken. Bedingung: Halbtaxabo. Die Karte ist ab neun Uhr morgens und nur von Montag bis Freitag gültig. Günstiger wird es auch hier mit einem Multipack (sechs Karten für den Preis von fünf). Die 1. Klasse ist für 480 statt 576 Franken erhältlich und die 2. für 290 statt 348 Franken. Eine Karte kostet also 80 Franken in der 1. Klasse und 48.35 Franken in der 2. Klasse.

Z-Pass oder Flextax-Tageskarte

Wer in den Zonen Zürichs oder Schaffhausens unterwegs ist, wählt diese Karte für maximal 96 Franken in der 1. Klasse und 54.80 in der 2. Klasse. Die Anzahl der Zonen kann selbst bestimmt werden.

Junior- und Kinder-Mitfahrkarte

Kosten: 30 Franken für ein Jahr. Bedingungen: Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren fahren in Begleitung eines Erwachsenen.

Baden-Württemberg-Ticket der DB

Zwar keine wirkliche Alternative, aber für Reisen im Bundesland Baden-Württemberg – und nach Basel – praktisch. Kosten: 31 Euro für die 1. und 23 Euro für die 2. Klasse. Jeder weitere Mitfahrer zahlt fünf Euro in der 2. Klasse und 13 Euro in der 1. Klasse. Bedingungen: Es können maximal vier Personen mit dem gleichen Ticket mitreisen und nur in Regionalzügen.

Kommentare (0)

Neuen Kommentar schreiben

Diese Funktion steht nur Abonnenten und registrierten Benutzern zur Verfügung.

Registrieren