Der Geschmack von Sonne und Regen
Die Pilzsaison hat gerade begonnen, im Wald wird fleissig gesammelt. Wir sind mit Pilzsammler Herbert Meier aus Beringen durchs Unterholz auf dem Südranden gestreift – und kamen mit einem vollen Korb zurück.
Nachgefragt
«Keine Vergiftung nach Kontrolle»
Ruedi Weber ist seit 1990 als Pilzkontrolleur im Kanton Schaffhausen im Einsatz. Aktuell ist er Dienstag und Freitag, jeweils von 18 bis 19 Uhr, im Theorielokal der Feuerwehr Thayngen vor Ort, um Pilze von Privatpersonen zu kontrollieren – das noch bis Mitte Oktober.
Herr Weber, wann startet die Pilzsaison, und wie wird sie dieses Jahr?
Ruedi Weber: Pilze gibt es das ganze Jahr. Morcheln zum Beispiel im Frühling. Die Hauptsaison startet im Sommer und endet gegen Mitte Oktober. Ich sage eine gute Saison voraus. Dies im Gegensatz zu den zwei vorherigen Jahren, die zu trocken waren. Grundsätzlich gilt: Ist schönes, warmes Badiwetter, ist das schlecht für die Pilze, die viel Feuchtigkeit lieben.
Welche Pilze findet man aktuell im Kanton Schaffhausen?
Weber: Momentan hat es viele Eierschwämme. Die Steinpilze kommen langsam. Zudem findet man jetzt auch Maroniröhrlinge, Kuhmäuler, Wiesentäublinge und Zigeuner-Reifpilze.
Wie viele Pilze darf man sammeln?
Weber: Im Kanton Schaffhausen gibt es keine Mengenbeschränkung – ausser in den Gemeinden Buchberg und Rüdlingen. Hier gilt: Vom 1. bis zum 10. eines Monats dürfen keine Pilze gesammelt werden. Danach sind ein Kilogramm pro Person und Tag erlaubt. Die gleichen Regeln gelten auch im Kanton Zürich, wo man erst ab dem 11. des Monats Pilze (pro Person ein Kilo täglich) sammeln darf. Im Kanton Thurgau gilt nur die Mengenbeschränkung: Ein Kilo pro Person und Tag. Im deutschen Schwarzwald darf eine Person pro Tag ebenfalls nur ein Kilo an Speisepilzen einsammeln – unabhängig vom Datum. Wer im Schwarzwald mehr gesammelt hat, muss eine Busse von 100 Euro zahlen.
Kommen viele Deutsche nach Schaffhausen, um Pilze zu sammeln?
Weber: Es ist eher umgekehrt. Im Schwarzwald gibt es viel mehr Pilze. An einigen Tagen stammen acht von zehn Sammlern aus der Schweiz.
Wo sind hier die guten Pilzplätze?
Weber: Im Reiat ist der Dörflingerwald sehr beliebt. Im Klettgau gibt es um die Gemeinden Neunkirch und Hallau sehr viele Speisepilze wie die Eierschwämme in den Wäldern. Auch auf den Feldern findet man Pilze wie den Wiesenchampignon. Im Randenwald, der kalkhaltige Böden hat, hat es weniger Eierschwämme, dafür gibt’s dort den Mönchskopf oder den Mairitterling.
Was ist mit den Giftpilzen?
Weber: Gefährlich sind der weisse, der grüne und der spitzkeglige Knollenblätterpilz. Ein Biss davon kann tödlich sein. In der Kontrolle sortieren wir die Giftpilze aus. Noch nie gab es in der Schweiz eine Pilzvergiftung, nachdem jemand bei der Pilzkontrolle war.
Interview Luc Müller
Durch das grüne Blätterdach fällt die Sonne auf verschlungene Himbeersträucher, lange Gräser und umgeknickte Baumstämme. Ein Waldmistkäfer, dessen schwarzer Panzer leicht bläulich schillert, müht sich über einen Moosballen, und zwei Rehe springen in der Ferne durchs Gebüsch. Es ist warm, das T-Shirt klebt schon etwas am Rücken, gleichzeitig steigt vom Waldboden die Feuchtigkeit vom letzten Regen auf. Ein guter Vormittag, um auf Jagd zu gehen – nach Pilzen.
Zusammen mit dem Pilzsammler Herbert Meier stehen Journalistin und Fotograf mitten im Wald auf dem Südranden gegenüber von Beringen. Die Saison hat begonnen, und wen das Pilzjagdfieber einmal gepackt hat, den lässt es so schnell nicht wieder los. «Derzeit sieht es gut aus vom Wetter her», sagt Meier. Die letzten beiden Jahre seien eher schlecht ausgefallen. 2015 konnte man das Pilzjahr witterungsbedingt ganz vergessen. «2016 ging die Saison erst Anfang November los», sagt Meier. Doch dann kamen auch recht schnell die kalten Nächte, und die Pilze erfroren.
Zu Hause gab es Pilzrisotto
Der gebürtige Neuhauser hat schon als Bub mit seinen Eltern im Schwarzwald Pilze gesammelt. «Wir haben meist Eierschwämmli, Steinpilze und Perlpilze gefunden», sagt er. Am Abend zog dann der Geruch von frischem Pilzrisotto durch das Haus. Über die Jahre ist seine Sammelleidenschaft etwas eingeschlafen. Doch jetzt, nach seiner Pensionierung, hat sie den 65-Jährigen wieder gepackt. «Ich habe mehrere Pilzkurse besucht», sagt er. Ganz sicher sei er sich mit der Bestimmung aber in manchen Fällen noch nicht. Dafür gibt es dann die Pilzkontrolle an verschiedenen Orten in Kanton. Im Rucksack trägt Meier ausserdem zwei Pilzbestimmungsbücher mit. Auch sonst hat er sich für den Ausflug ausgerüstet: Wanderschuhe, lange Hose gegen die stacheligen Himbeerranken und auch gegen die Zecken und natürlich das Wichtigste – den Pilzkorb.
So gross wie drei Handteller
Lange müssen wir nicht durchs Unterholz laufen, die Augen fest auf den Boden gerichtet, bis wir auf den ersten Pilz stossen: Da steht ein Gemeiner Strubbelkopfröhrling. Sein Hut ist wie mit Zotteln bedeckt, und ansonsten schaut er mit seinem leicht verkohlten Antlitz so aus, als hätte er gerade einen Waldbrand überlebt. Aber tatsächlich sehe dieser Pilz nun mal so aus, bestätigt Meier. Geniessbar ist er jedenfalls nicht, wir lassen ihn stehen. Da erregt schon etwas anderes unsere Aufmerksamkeit. Dort, wo die Baumstämme dichter stehen, leuchtet etwas Beiges. Der Pilz sieht aus wie einer von den Naturschwämmen, die man in der Badewanne verwendet. Er ist so gross wie drei aneinandergelegte Handteller. «Das könnte eine Krause Glucke sein», sagt Meier. Ganz sicher ist er sich nicht. Er blättert in einem seiner Bücher, dann bricht er ein kleines Stück ab, riecht daran. Letztlich stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Eichhasen oder einen Ästigen Büschel-Porling handelt. Und er ist tatsächlich essbar! Also rein damit in den Korb!
Je mehr essbare Pilze dort landen, desto stärker meldet sich das Fieber. Da noch ein Pilz und hier noch. Eigentlich würde man jetzt gern einfach alles einsammeln, was essbar ist, auch Pilze im Miniformat. Doch Herbert Meier rät mit ruhiger Stimme zur Mässigung: «Da isch ja kei Schnorre voll. Die lass ich meistens stehen.»
Meier ist auch auf der Suche nach einem ganz bestimmten Pilz, nämlich der Herbsttrompete. Die Bezeichnung «Totentrompete» wird nur noch selten verwendet – zu abschreckend. Und tatsächlich gelingt uns der grosse Fang. Von Gras und Blättern verdeckt, reihen sich dunkle Pilze aneinander. Der Hut sieht aus wie ein Trichter, wie eine Trompete eben. Meier trocknet die Pilze meist und verarbeitet sie zu Pulver. «Das kommt dann zur Verfeinerung an den Braten», sagt er.
Über zwei Stunden waren wir im Wald unterwegs. Mit vollem Korb kehren wir zurück. Auf dem Heimweg erzählt Meier von den verschiedenen Möglichkeiten der Zubereitung. «Wir machen meist Pilzmischgerichte», sagt er, «mit Zwiebeln und ein wenig Öl, Salz und Pfeffer.» Dazu gibt es nur Brot. «Mehr braucht es auch nicht», sagt Meier. Der Geschmack von Sonne, warmem Regen, frischem Moos – der Pilzgeschmack eben – reicht.