Die erste Haltestelle für die Integration

Saskia Baumgartner | 
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An der Krebsbachstrasse wohnen langjährige Mieter und Flüchtlinge Tür an Tür. Ein lebendiger und manchmal auch etwas lauter Ort.

Sommerserie Unsere Strasse (V) – Krebsbachstrasse, Schaffhausen

Ein Balkon, an dem eine Griechenlandflagge weht, ein vorbeifahrendes Auto mit serbischem Kennzeichen, leise Afro-Beat-Ryhthmen in der Luft. Es gibt wohl wenige andere Orte im Kanton Schaffhausen, an denen so viele verschiedene Nationen leben wie an der Krebsbachstrasse.

Schon vor rund vierzig Jahren hatte die Strasse, die zwischen der viel befahrene Hochstrasse und der A4 liegt, internationales Flair. Neben Schweizern suchten auch viele Arbeiter aus dem Ausland, Portugiesen, Spanier, Italiener, hier ihr Zuhause. So auch Juan Ferreiro aus dem spanischen Galizien, der seit 38 Jahren bei der Georg Fischer AG arbeitet. Ferreiro zog Anfang der 1980er-Jahre ein – und blieb bis heute.

Früher: Wiese bis zu den Gleisen

Zu jener Zeit war die Strasse auf der östlichen Seite noch nicht von einer Lärmschutzwand begrenzt, die dahinterliegende A4, die parallel zu den Gleisen verläuft, wurde erst ab Ende der 1980er gebaut. «Davor war bis zu den Gleisen des Güterbahnhofs alles Wiese», sagt Ferreiro. Nachbarin Marianna Angiulli – eine Schweizerin, die einen Italiener geheiratet hat – berichtet, wie die Kinder beider Familien früher gemeinsam vor dem Haus gespielt hätten. Wegen der nahen Bahngleise sei stets ein Erwachsener dabei gewesen und habe die Kinder beaufsichtigt, sagt die Pensionärin.

Heute ist die 800 Meter lange Krebsbachstrasse nach wie vor belebt. Allerdings wohnen weniger Familien hier als noch vor vier Jahrzehnten, sondern mehr Einzelpersonen aus dem Asylbereich. Das Kantonale Sozialamt besitzt zehn Liegenschaften an der Krebsbachstrasse, in eine ist im letzten Jahr die Integrationsfachstelle der Region Schaffhausen eingezogen, sieben sind Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen. Christoph Roost, Leiter des Kantonalen Sozialamts, weiss, dass Letztere zwischen 1942 und 1946 für Arbeiter gebaut wurden. In den Anfangsjahren hätten viele Mitarbeiter der Deutschen Bahn darin gelebt. 2004 hat der Kanton entschieden, in den Gebäuden Asylsuchende unterzubringen. Mittlerweile leben hier rund 100 Asylsuchende und Flüchtlinge – die meisten befinden sich im laufenden Verfahren – in 25 Wohngemeinschaften.

In den meisten Mehrfamilienhäusern wohnen sie Tür an Tür mit langjährigen Mietern wie Juan Ferreiro und Marianna Angiulli. «Die Mischung war eine bewusste Entscheidung des Kantonalen Sozialamts», sagt Rahel Kunz, die für die Unterbringung der Asylsuchenden und Flüchtlinge mit zuständig ist. Dadurch sollte eine Ghettoisierung vermieden werden. Das Zusammenleben klappe ganz gut, die externen Mieter seien sehr verständnisvoll, sagt sie.

Marianna Angiulli berichtet davon, wie junge Männer aus den Nachbarwohngemeinschaften ihr selbstverständlich die Einkäufe abnehmen und die Treppen hochtragen, bis vor die Wohnungstür. Man grüsse und kenne sich. Bisweilen kann das Zusammenleben im Mehrfamilienhaus aber auch schwierig werden: laute Fussballspiele um Mitternacht auf der Strasse, knallende Türen, Licht im Treppenhaus, das die ganze Nacht brennt. Angiulli, die früher Hauswartin in ihrem Gebäude war, sucht in solchen Fällen das Gespräch mit den Asylsuchenden. Sie erklärt ihnen, dass um 22 Uhr Nachtruhe ist, dass die Gemeinschaft für den Strom zahlen muss und wie man eine Waschmaschine richtig benutzt.

In ihrem Haus klappe die Kommunikation meist gut, sind sich Ferreiro und Angiulli einig. Schwierig sei allerdings, dass die Besetzung der Wohngemeinschaften so schnell wechsle. Manche Asylsuchende seien nur wenige Monate da, dann zögen wieder neue ein. Und diesen müsse man die Regeln erneut erklären. Aufgrund der kurzen Zeit bleiben die Kontakte zwischen langjährigen Mietern und Asylsuchenden meist eher oberflächlich.

«Das Leben hier ist sehr lehrreich für mich, weil viele Leute aus verschiedenen Ländern zusammenleben.» Nawroz Ali Nadiri, Asylsuchender aus Afghanistan, der in einer Wohngemeinschaft an der Krebsbachstrasse lebt.

Nawroz Ali Nadiri lebt seit 20 Monaten in einer Dreier-Wohngemeinschaft, er hat Asyl beantragt und wartet auf seinen Bescheid. Der studierte Mathematiker berichtet, dass er in Afghanistan durch seine Anstellung bei einem Logistikunternehmen, das mit amerikanischen Firmen zusammengearbeitet habe, ins Visier der Taliban geraten sei. Über die Krebsbachstrasse sagt er: «Das Leben hier ist sehr lehrreich für mich, weil viele Leute aus verschiedenen Ländern zusammenleben.» Die Strasse sei für viele «die erste Haltestelle für die Integration». Natürlich könnten die unterschiedlichen Mentalitäten und Gewohnheiten auch etwas schwierig sein. Er selbst habe einem seiner Nachbarn nicht verständlich machen können, dass ihn dessen nächtliches – sehr lautes – Beten beim Einschlafen störe. «Ich habe mir dann Ohrstöpsel gekauft», sagt Nadiri. Der 29-Jährige ist auch sehr dankbar für seinen Job als Küchenhilfe im Rahmen des Beschäftigungsprogramms. «Bevor ich den Job hatte, habe ich zu viel über meine Situation nachgedacht.» In der Küche komme er auf andere Gedanken und habe gelernt, besser zu kochen. Zudem kann Nadiri seine Deutschkenntnisse anwenden imTeam, das aus Menschen aus Tibet, Iran, Eritrea, Sri Lanka und Äthiopien besteht.

Nadiri arbeitet in der Betriebsküche des sogenannten Hauses der Kulturen, das von vielen Anwohnern als das Herzstück der Strasse wahrgenommen wird. Das Haus ist mit mindestens 300 Jahren das mit Abstand älteste der Strasse. Einst, sagt Christoph Roost vom Kantonalen Sozialamt, sei das ehemalige Otterngut das einzige Haus am Geissberg gewesen, der früher ein Weinberg gewesen sei.

Als der Krebsbach oberirdisch floss

Im letzten Jahrhundert noch war die Gegend um das Otterngut auch ein bekannter Ort zum Schlittschuh laufen. 1917 wurde der Eisclub Schaffhausen gegründet. Eines seiner ersten Ziele war es, eine geeignete Eisbahn in Stadtnähe zu erstellen. Mit Hilfe der städtischen Behörden wurde im Fulachtal ein Staudamm errichtet, mit dem man den Krebsbach zu einem kleinen See stauen konnte, der nachher gefror. Im Winter 1921/22 konnte die Eisbahn Spitzwiese erstmals benutzt werden. Nebst der Eisbahn gab es eine Clubhütte mit Verpflegungsstand und eine Flutlichtanlage, später kam gar eine Musikanlage dazu. In den 1930ern wurde der Krebsbach dann unter die Erde verlegt.

Um die Jahrtausendwende war das Otterngut, der einst prächtige Sommersitz, stark heruntergekommen. Das Kantonale Sozialamt sanierte das Gebäude, taufte es in «Haus der Kulturen» um und bietet darin seit 2008 verschiedene Beratungs- und Bildungsangebote wie Deutschkurse für Asylsuchende und Flüchtlinge im ganzen Kanton an. Von hier aus werden auch die Beschäftigungsprogramme für die Asylsuchenden koordiniert. Neben einem Job als Küchenhilfe gibt es zum Beispiel auch eine Velowerkstatt.

Etwa zeitgleich mit dem Haus der Kulturen wurde auch eine Liegenschaft am Ende der Einbahnstrasse saniert. Seit 2012 befindet sich hier eine der privaten Spielhuus-Kindertagesstätten, die von rund 70 Kindern aus etwa 30 verschiedenen Nationen besucht wird. «Das Gebäude war eigentlich ein Abbruchobjekt», sagt Geschäftsführerin Garbriela Wichmann rückblickend. Während der dreijährigen Bauarbeiten habe es Pro­bleme mit Littering und Nachtbubenstreichen gegeben. Mit der Eröffnung der Tagesstätte sei all das aber vorbei gewesen. Die verschiedenen Haussanierungen hätten sich zu jener Zeit positiv auf die ganze Strasse ausgewirkt. Kinderbetreuerin Seraina Lerch sagt: «Uns gefällt an der Krebsbachstrasse besonders die ruhige und fröhliche Ausstrahlung des Quartiers und die Hilfsbereitschaft der Bewohner.»

Kennenlernen am Krebsbachfest

Die Strasse in einem besonderen Ambiente erleben und die Anwohner kennenlernen kann man in rund drei Wochen. Dann steht rund um das Haus der Kulturen das Krebsbachfest an, das 2010 ins Leben gerufen wurde. Am 19. August wird nun bereits die fünfte Ausgabe mit Festwirtschaft, Kinder- und Kulturprogramm gefeiert.

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