Die EU und ihre Beziehung zur Schweiz in 18 Punkten

Schaffhauser Nachrichten | 
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Schweiz–EU – wie weiter?

Wir haben die Entwicklung der EU und ihre Beziehung zur Schweiz unter die Lupe genommen.

Die Europäische Union befindet sich in einem Transformationsprozess und schlittert von Krise zur Krise. Auf die Eurokrise folgten der Migrationsdruck und vor einem knappen Jahr dann auch noch der Brexit. Während die EU also stark mit sich selbst beschäftigt ist, stehen auch die Beziehungen der Schweiz zu Europa wieder einmal am Scheideweg. Mit der Annahme der Masseneinwanderungs Initiative (MEI) am 9. Februar 2014 waren es die Schweizerinnen und Schweizer, die ein neues Kapitel im Umgang mit der Europäischen Union aufgeschlagen haben. Die Initiative beschäftigt die Politik seither. 

Die EU in der Welt

Die Europäische Union ist ein Verbund von derzeit 28 Mitgliedstaaten (inklusive Grossbritannien). In der EU wohnen über 510 Millionen Menschen, was rund 7,1 Prozent der Weltbevölkerung entspricht. Die EU hat Einsichts- und Rederecht bei den Vereinten Nationen. Die Schweiz liegt geografisch im Zentrum der EU, gehört aber nicht dazu. Mit Ausnahme von Liechtenstein gehören alle Nachbarländer der Schweiz der EU an. Grundlage der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sind die bilateralen Abkommen.

Die Gründung der EWG: Römische Verträge

Schon nach dem Ersten Weltkrieggab es verschiedene Bestrebungen, eine Union europäischer Staaten zu bilden. Diese blieben jedoch letztlich erfolglos. Das Ende des Zweiten Weltkrieges war der entscheidende Ausgangspunkt für die europäische Integration: Durch eine Vernetzung der militärisch relevanten Wirtschafts­sektoren sollte ein neuer Krieg unmöglich gemacht werden. 1950 schlug der französische Aussenminister Robert Schuman vor, die gesamte französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Behörde zu unterstellen. Dies führte 1951 zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion). Mit dabei waren neben Deutschland und Frankreich auch Belgien, Italien, Luxemburg, Holland und die Niederlande. 1957 wurden die Römischen Verträge unterzeichnet: Damit bildeten die sechs Staaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft.

EU-Erweiterung

1973 traten der Europäischen ­Gemeinschaft in der ersten Norderweiterung das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark bei. Später folgten weitere Erweiterungsschritte. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde 1992 die Europäische Union gegründet, die damit Zuständigkeiten in nicht wirtschaftlichen Politikbereichen bekam. Im Vertrag wurde zum einen die Gründung einer Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen, die später zum Euro führte. Zum anderen beschlossen die Mitgliedstaaten eine engere Koordinierung in der Aussen- und Sicherheitspolitik und bei der Justiz.

Der Euro

Als Gemeinschaftswährung von zunächst elf EU-Mitgliedstaaten wurde der Euro 1999 als Buchgeld und 2002 als Bargeld eingeführt. Heute wird die Währung in 19 EU-Mitgliedstaaten verwendet. Der Euro wird auch in Andorra, Monaco, San Marino und dem Vatikan genutzt – diese Kleinstaaten sind aber keine EU-Mitglieder. Der Euro war ein stark politisches Projekt, das vom deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl vorangetrieben wurde. Als Einheitswährung löste der Euro die früheren nationalen Währungen ab. Kontrolliert wird der Euro von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main.

Die Institutionen

Gerne verwechselt werden die drei Legislativ-Institutionen der EU: DasEuropäische Parlament (751 Sitze) repräsentiert die Unionsbürger und ist zuständig für Gesetzgebung, Aufsicht und Haushalt. ImEuropäischen Rat treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Länder – Präsident ist Donald Tusk. Auch der Rat der Europäischen Union ist mit Vertretern der Regierungen besetzt – Minister aus ­jedem EU-Land, je nach behandeltem Politikbereich. Die Europäische Kommission ist die Exekutive mit Vertretern aus allen EU-Ländern. Präsident ist Jean-Claude Juncker.

Wirtschaftliche Erfolge und Probleme

Nach den USA ist die EU mit einem nominalen Bruttoinlands­produkt von 17,4 Milliarden US-Dollar (2016, Internationaler ­Währungsfonds) die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Sie ­repräsentiert rund 23 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.

Im Hinblick auf das Pro-Kopf-Einkommen gibt es ausgeprägte Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsländern: In Nord- und Westeuropa liegt es meist deutlich höher als im Süden und Osten. 2015 waren die Einkommen in Luxemburg am höchsten, am niedrigsten in Bulgarien. Dennoch haben speziell die Länder des ehemaligen Ostblocks nach ihrem Beitritt 2004 wirtschaftlich vom EU-Marktzugang profitiert, etwa durch höhere Direktinvestitionen.

Zuletzt sorgten aber die Probleme rund um die Gemeinschaftswährung Euro wiederum für trübere Wirtschaftsaussichten – so sind die finanziellen Probleme Griechenlands weiterhin ungelöst.

Importe und Exporte

Eng vernetzt sind die Schweiz und die EU auf der wirtschaftlichen Ebene. 2016 sind 54 Prozent der Schweizer Exporte für die EU bestimmt gewesen. Dies entspricht einem Warenwert von 113 Milliarden Franken. Mehr als 18 Prozent davon wurden nach Deutschland ­exportiert, gefolgt von je circa 6 Prozent nach Frankreich und Italien. Rund drei Viertel der Schweizer Importe stammen aus der EU. So importierte die Schweiz 2016 Waren im Wert von 124 Milliarden aus der EU. Am meisten Waren kamen aus Deutschland, nämlich 28 Prozent. Darauf folgen Italien (10 Prozent) und Frankreich (8 Prozent).

EWR-Beitritts-Nein

Einen Meilenstein im Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU bildete die eidgenössische Abstimmung zum EWR-Beitritt vom 6. Dezember 1992. Damals stimmten 50,3 Prozent der Wahlberechtigten gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Alle EU-Mitglieder sowie die drei Efta-Länder Island, Liechtenstein und Norwegen gehören dazu. Im EWR gilt freier Waren-, Per­sonen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Mit dem damaligen überraschenden Abstimmungs-Nein begann der Aufstieg des noch unbekannten SVP-Politikers Christoph Blocher.

Die Bilateralen Verträge

Die Zusammenarbeit mit der EU hat die Schweiz nach dem Nein zum EWR-Beitritt 1992 durch neue bilaterale Abkommen geregelt. Diese Bilateralen Verträge I traten im Juni 2002, nachdem das Schweizer Stimmvolk sie gutgeheissen hatte, in Kraft. Die wichtigsten betreffen den Land- und den Luftverkehr, die Landwirtschaft, die Forschung sowie die Personenfreizügigkeit. 2009 wurde an der Urne die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitgliedstaaten Rumänien und Bulgarien gutgeheissen, 2013 auch auf Kroatien. Im Oktober 2004 ist ein zweites Bilateralen-Paket verabschiedet worden. Die wichtigsten Verträge betreffen dort die Zusammenarbeit bei Polizei und Justiz, Asyl und Migration (Schengen/Dublin), die Zinsbesteuerung, die Betrugsbekämpfung, die Medien wie auch die Berufsbildung. Schengen/Dublin wurde 2005 vom Stimmvolk angenommen und trat am 1. März 2008 in Kraft.

Inmitten der EU

1935 Kilometer misst die Landesgrenze der Schweiz. Sie ist ausser den 41 Grenzkilometern mit dem Fürstentum Liechtenstein gesamthaft von EU-Territorium umschlossen. Die längste Staatsgrenze ist mit 782 Kilometern diejenige zu Italien im Süden. Im Westen grenzt die Schweiz an Frankreich mit 585 Kilometern, im Norden an Deutschland mit 347 Kilometern und im Osten an Österreich mit 180 Kilometern. Die EU hat eine Aussengrenze zu Lande mit einer Gesamtlänge von insgesamt 14 303 Kilometern. 13,5 Prozent davon teilt sie mit der Schweiz.

Täglich über die Grenze

318 500 ausländische Grenzgänger zählte die Schweiz Ende 2016. Das sind Personen, die meist im Grenzgebiet wohnen und in der EU leben, aber zum Arbeiten in die Schweiz pendeln. Davon sind 64,4 Prozent Männer und 35,6 Prozent Frauen. 2011 waren es 251 700 Grenzgänger und somit fast ein Viertel weniger. Im Genferseeraum arbeitet über ein Drittel aller Grenzgänger. Es folgt die Nordwestschweiz als zweitgrösste Grenzgängerregion. In der Ostschweiz sind es über 25 000 Personen. Im Tessin ist mittlerweile mehr als jede vierte ­erwerbstätige Person (27,1 Prozent) ein «frontaliere».

Auslandschweizer bevorzugen EU-Länder

Basierend auf dem Personenfreizügigkeitsabkommen im Jahr 1999 zwischen der Schweiz und der EU können sich EU-Bürger in der Schweiz vereinfacht niederlassen und einer Arbeit nachgehen, aber auch Schweizer in EU-Staaten vereinfacht einwandern. So lebten 464 409 Schweizer Ende 2016 in einem Staat der Europäischen Union, das sind 61,7 Prozent aller Auslandschweizer. Zu den beliebtesten Destinationen von Schweizer Auswanderern gehören Frankreich mit 200 730 und Deutschland mit 89 390 Schweizern. Danach kommen Italien mit 51 895 und Grossbritannien mit 34 971 Schweizern. In der Schweiz wiederum stammten Ende 2016 rund 70 Prozent der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung aus den ­EU-28/Efta-Staaten. Von den 1 390 405 Ausländern sind 318 653 italienische Staatsangehörige und 304 706 Staatsbürger Deutschlands, gefolgt von den Portugiesen mit 269 521 Personen.

Eher gegen EU-Beitritt

Die Meinung der Eidgenossen zu einem EU-Beitritt der Schweiz hat sich über die Jahre stark gewandelt. In der Mosaich-Studie – dabei handelt es sich um eine schweizweite, repräsentative Befragung zum politischen Verhältnis zu Europa – sprachen sich im Jahr 2005 noch 44 Prozent für einen EU-Beitritt aus. 2015 waren nur noch knapp 17 Prozent dafür. Müssten die Befragten nun zwischen ­EU-Beitritt und Bilateralen entscheiden, wären 80 Prozent für die Bilateralen, 8 Prozent für einen EU-Beitritt und 12 Prozent für die Einstellung sämtlicher Annäherungen.

EU-Osterweiterung

Die grösste Erweiterung in der Geschichte der EU fand am 1. Mai 2004 statt. Damals wurden die Staaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern als Vollmitglieder in die EU aufgenommen. Die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien erfolgte am 1. Januar 2007, Kroatien wurde am 1. Juli 2013 das 28. Mitglied der Europäischen Union. Den Status eines ­Beitrittslandes haben derzeit Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien und die Türkei. Potenzielle Beitrittskandidaten sind auch Bosnien und Herzegowina und Kosovo.

Verhältnis zur Türkei

Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU wurden offiziell im Oktober 2005 aufgenommen. Bereits sechs Jahre zuvor, am 11. Dezember 1999, wurde dem Land der Status eines offiziellen Beitrittskandidaten zuerkannt. Grundlage war das Ankara-Abkommen 1963. Ein mög­licher Beitritt der Türkei ist jedoch umstritten, grosse Teile von EU-Bürgern und türkischen Bürgern lehnen ihn ab. Präsident ­Recep Tayyip Erdogan hingegen warf jüngst der EU vor, sie würde sein Land seit einem halben Jahrhundert warten lassen. Wenn sich bald nichts täte, würde die Türkei «auf Wiedersehen» sagen.

Die Anti-EU-Bewegung

Es sind unter anderem die Zweifel an dem Grossprojekt EU, aber auch die Vorstellung von der EU als einer zentralistischen Macht, in der Lobbyisten das Sagen haben, die der Anti-EU-Bewegung Aufwind geben. So sieht die Alternative für Deutschland (AfD) den Euro als gemeinsame Währung für gescheitert an. Andere Parteien plädieren für den Austritt ihres Landes aus der EU, darunter die Fünf-Sterne-­Bewegung von Beppe Grillo in Italien, der Front National in Frankreich sowie die Partei für die Freiheit in den Niederlanden von ­Geert Wilders 

Der Brexit

Am 23. Juni 2016stimmten die Wähler des Vereinigten Königreiches für den EU-Austritt. Im Januar 2017 stellte Premierministerin Theresa May einen Zwölf-Punkte-Plan vor, der einen «harten Brexit» vorsieht, keine Teil- oder assoziierte Mitgliedschaft. Britannien soll aus dem EU-Binnenmarkt, der Zollunion und dem Europäischen Gerichtshof ausscheiden. Bei ihrem Austrittsgesuch im März sprach May jedoch von einem «ehrgeizigen Freihandelsabkommen». Nach einer vertraglich vorgesehenen zweijährigen Verhandlungsperiode soll Britanniens Mitgliedschaft im März 2019 enden.

Wie sieht die Zukunft der EU aus?

Im März 2017 erschien ein Weissbuch der EU-Kommission zur Zukunft der Union. Fünf Szenarien beschreiben darin, wo die EU im Jahr 2025 stehen könnte – je nachdem, welchen Kurs sie künftig fährt. Ein Titel lautet: «Wer mehr will, tut mehr». Die «Koalitionen der Willigen» könnten also in einzelnen Bereichen die Zusammenarbeit erhöhen und die Integration vorantreiben. Damit soll verhindert werden, dass die EU durch Spannungen zwischen Nord, Ost, Süd und West gelähmt wird. Ist das ein realistischer Ausweg? Die Union muss sich derzeit vielen zentralen Herausforderungen stellen: etwa den Brexit-Verhandlungen, der Euro-Frage oder der Flüchtlingskrise. Zuletzt war die Sorge gross, dass EU-Gegnerin Marine Le Pen (Front-National) die französischen Präsidentschaftswahlen gewinnt. Entspannung kam mit dem Sieg von EU-Befürworter Emmanuel Macron.

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