Power-Kids-Triathlon in Schaffhausen

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Das grosse Exklusivinterview mit Olympiasiegerin Nicola Spirig. Ungekürzt, mit vielen Einblicken. Über die volle Distanz.

Olympiasiegerin, Silbermedaillengewinnerin und zweifache Mutter. Herzlichkeit und Sympathie treffen Ausnahmetalent und Ehrgeiz.

Im Gespräch mit Ralph Aichem, SH POWER.


 

Ralph: Liebe Nicola, ich habe mal nachgedacht, aber ausser dir kenne ich keine so sympathische Mami, die auch noch bei Olympischen Spielen so abgeräumt hat wie Du und jetzt zum zweiten Mal Mutter wird. Erste Frage: Wie ist das so für deinen Sohn, eine Olympiasiegerin als Mutter?

Nicola: Danke für das Kompliment☺ Wie das für meinen Sohn ist, sollte man ihn selbst fragen! Ich glaube, ich bin für ihn die meiste Zeit ein ganz normales Mami. Dass ich Olympiasiegerin bin, merkt er nur an speziellen Anlässen, an dem ich Autogramme, Interviews und Fotos geben muss. Er weiss natürlich, dass ich einen „speziellen“ Beruf habe, bei dem ich viel trainieren muss, aber dafür dazwischen anders als andere arbeitende Eltern auch Zeit daheim mit ihm verbringen kann. Sonst aber dreht sich unser Alltag nicht um den Olympiasieg, sondern wie bei jeder anderen Familie auch um Spielen, Zeichnen, Velofahren, Backen etc.

Gibt es Marmelade zum Frühstück, Hamburger und Pommes zu Mittag und Gummibärchen zwischendurch oder eher Olympiasieger-Ernährung?

Die Frage ist, was heisst „Olympiasieger-Ernährung“? Ich bin wohl diejenige, die sich von der Familie fast am „ungesündesten“ ernährt ;-) Generell sind bei uns die Hauptmahlzeiten gesund, zwischendurch darf es immer auch ein Glace oder Gummibärli sein. Auch gehören Würste auf dem Grill, selbstgemachte Pizza etc. dazu. Wir haben Glück, dass unser Sohn vielseitig isst, also gewisse Gemüse und Früchte genauso gern isst wie Anderes.

Was wird im Hause Spirig gespielt? Lego, Puzzle, oder sogar Fussball?

Wenn möglich alles;-) Favoriten sind momentan Playmobil-Piraten, aber Bewegung draussen gehört sicher auch immer dazu, ob mit Ball, Velo, auf dem Trampolin oder sonst etwas und Puzzles waren vor ein paar Wochen hoch im Kurs – das ändert ständig wieder.

Hat dein Sohn in Rio mitgefiebert und mitgefeiert?

Ja, mein Mann Reto und Yannis waren zusammen mit meinem Vater und ein paar guten Freunden auch in Rio. Ich habe mich riesig gefreut, dass ich all meine Lieben dort hatte und ihre Unterstützung spürte! Ganz super waren ihre T-shirts, eine Überraschung für mich (siehe Bild).

Vor dem Rennen hatten wir zwei separate Zimmer im gleichen Hotel. Ich bin vor dem Rennen an Olympischen Spielen immer sehr nervös. Auf diese Weise konnte ich wählen, ob ich gerade etwas Nähe meiner Familie brauchte oder etwas Ruhe und Zeit, mich auf den Wettkampf zu fokussieren.

Für Yannis war es sicher ein gutes Erlebnis – mit uns, meinem Vater und unseren Freunde hatte er tolle Ferien und war immer perfekt betreut, auch wenn Reto und ich vor und während dem Rennen etwas nervös waren;-) Mein Rennen fand am Strand der Copacabana statt – so konnte Yannis zwischendrin Mami schauen und dann wieder in einem der schönsten und grössten „Sandkästen“ der Welt direkt am Meer spielen;-))

Ehemann und ständiger Begleiter Reto Hug und der grösste Fan von Mami, Sohn Yannis.
 

Und als dann um die Medaillen ging?

Ich hatte Yannis vor dem Rennen gesagt, dass ich nach dem Rennen sehr glücklich sein würde, wenn ich eine Medaille um den Hals hätte. Falls nicht, wäre ich kurz traurig, aber wenn er mich trösten würde, dann wäre ich auch dann bald wieder glücklich. Als ich mit der Silbermedaille nach der Siegerehrung das erste Mal zu ihnen konnte, wusste er deshalb genau, dass ich glücklich war und freute sich auch! Es war einer der emotionalsten Augenblicke für mich, der Moment, als ich meine Familie nach dem Rennen sah und mit ihnen die Freude teilen konnte!

Das macht mich neugierig. Wird er zusammen mit seinem Geschwisterchen in Tokio 2020 auch wieder mitfiebern? Einmal Familienkarte Olympische Spiele Tokio?

Es ist momentan noch Vieles unklar. Aber falls ich noch einmal an die Olympischen Spiele gehe im 2020, dann werden Yannis und sein Geschwisterchen, wenn immer möglich auch dabei sein!

«IN VIER JAHREN, UM 14 UHR – DANN MUSS ALLES PASSEN»

Ich habe Bilder gesehen, da absolvierst du schwanger Trainings. Macht das noch Freude? Wie viel Ehrgeiz steckt in dir deine Ziele zu erreichen?

Für mich ist Bewegung extrem wichtig! Denn ohne Bewegung fühle ich mich ganz einfach nicht wohl. Und so schätze ich es sehr, dass ich auch in der Schwangerschaft immer ein gewisses Training machen konnte, wenn auch natürlich auf ganz anderem Niveau als normalerweise, im Ausdauerbereich;-) Ich glaube fest, dass ich dadurch viele Probleme in der Schwangerschaft vermeiden konnte, dass ich bessere Laune hatte und dass ich natürlich auch eine gewisse Basis behalten konnte, um danach wieder auf hohem Niveau Sport zu treiben. Aber das hatte keine Prioriät, das Kindswohl ist in dieser Zeit definitiv wichtiger.

Für mich unvorstellbar, alle 4 Jahre gibt es nur ein einziges Olympisches Rennen, auf das die ganze Welt schaut. Ein Rennen, bei dem alles passen muss. Allein bei der Vorstellung hätte ich Angst, dass ich einen ‚Schnupfen’ hätte. Wie ist das für dich, wenn man weiss, in genau 4 Jahren um 14:00 Uhr muss ich topfit sein?

Das ist sicher eine schwierige Situation! Man hat nur diese eine Chance in vier Jahren, vielleicht sogar in seinem ganzen Leben, um zu zeigen, was man in diesem Bereich wirklich kann. Das bringt extrem viel Druck und Erwartungen, von einem selbst und von aussen. Es ist eine grosse Herausforderung, diesem Druck stand zu halten und nicht daran zu zerbrechen. Aber gerade solche Challenges faszinieren mich. Es ist genauso wichtig zu lernen, mit dieser Extremsituation umgehen zu können und wie man unter diesen Umständen absolute Topleistung abliefern kann wie körperlich genau in diesem Moment auf dem Höhepunkt zu sein! Beides zusammen zu bringen ist die grosse Kunst!

Wie überlistest Du deinen inneren Schweinehund? Vor allem die Schmerzen?

Mir hilft es extrem, ein Ziel vor Augen zu haben, das mich herausfordert und fasziniert! Dies bringt mir die nötige Motivation, meinen inneren Schweinehund und die Schmerzen zu überlisten! Ich weiss dann genau, für was ich mich im Training so an die Grenzen treibe und warum ich es tue. Ausserdem hilft es mir mit anderen Profiathleten zu trainieren, die ebenfalls topmotiviert sind und jeden Tag an ihre Grenzen gehen. Im Triathlon ist auch speziell, dass wir ja drei Disziplinen haben. Und wenn ich für die eine Disziplin einmal wirklich keine Motivation habe, dann kann ich ja immer noch auf eine andere ausweichen ;-)

SCHAFFHAUSEN, DAS KLEINE OLYMPIA

Jetzt kommen wir von der Olympischen Welt nach Schaffhausen. Du engagierst dich mit dem KidsCup by Nicola Spirig für Kinder und den Sport. Am 10.09.2017 findet in Schaffhausen zum dritten Mal der erfolgreiche Powerkids Triathlon statt. Warum hast du den KidsCup ins Leben gerufen?

Ich hatte immer Glück im Leben, wurde von ganz vielen Leuten unterstützt und durfte vor allem durch den Sport von klein auf profitieren, lernen und viele super Erfahrungen machen! Sport ist für mich die beste Lebensschule! Man lernt mit Sieg und Niederlagen umzugehen, auf ein Ziel hin zu arbeiten, Hindernisse zu überwinden, erhält Körper- und Selbstwertgefühl, lernt seine Grenzen kennen etc. Darum wollte ich etwas zurückgeben. Und weil ich sehr gerne mit Kindern arbeite und ihnen den Weg zu Sport und Bewegung, zu Erfahrungen und Erlebnissen wie den meinen ebnen wollte, entstand dann der Kids Cup by Nicola Spirig (www.nicolaspirig-kidscup.ch)

Nicola Spirig ist beim Höhepunkt vom Power Kids Triathlon 2016 voll dabei: die Siegerehrung ist die Krönung dieses Sporttages. Daneben Ralph als Moderator und Entertainer für die Zuschauer.
 

Frage am Rande, nimmt dein Sohn in Schaffhausen teil? Haben die anderen Schaffhauser Kids überhaupt eine Chance?

Haha, Yannis ist erst vier Jahre alt, also noch zu klein für eine Teilnahme in Schaffhausen. Ausserdem schätzen wir es sehr, dass er sich bis jetzt gerne bewegt, er muss aber aus unserer Sicht keineswegs ein kleiner Triathlet werden! Es wäre wohl sowieso sehr schwierig für ihn, sportlich dauernd mit seinem Vater und seiner Mutter verglichen zu werden... Für uns ist es wichtig, dass Yannis etwas findet, was im Spass macht, egal, was das schlussendlich ist.

Wenn man die Bilder aus dem vergangenen Jahr Powerkids Traithlon anschaut, ist alles eigentlich alles gesagt: Begeisterte Kids, überglückliche Familien mit Selfie- und Unterschriften-Marathon von Nicola Spirig. Freust du dich schon wieder auf Schaffhausen?

Ich freue mich sehr auf Schaffhausen, wieder möglichst viele glänzende Kinderaugen zu sehen und wenn möglich alle Fragen zu beantworten und Selfie- und Autogrammwünsche zu erfüllen! Für mich ist es das Ziel, dass die Kids einen super Tag mit viel Spass und Bewegung erleben, wenn möglich mit der ganzen Familie!

Es gibt ja auch Side-Events für Familien an diesem Event, wie zB. Sackhüpfen oder Teebeutel-Weitwurf. Cool fand ich, dass du überall mitgemacht hast und so jeder die Chance hatte eine Olympiasiegerin zu schlagen ;-) Wäre Sackhüpfen nicht eine gute Olympische Disziplin? Oder ein Sack-Weisprung?

Haha. Ja, warum nicht gleich ein Triathlon im Sack. Ich glaube, es klappt nicht wegen dem Schwimmen und Radfahren. Aber es ist sicher ein gutes Training und gibt Sprungkraft, Ausdauer, ... alles das, was du nicht hast Ralph, wenn ich an unser letztes 100 Meter Sackhüpfen in Schaffhausen denke ;-)

Oje. Ich habe gekämpft, aber so was von verloren. Geplagt von einem irrsinnigen Muskelkater am nächsten Tag. Aber ich habe trainiert. Bist du bereit für die Revanche?

Ich bin immer bereit ;-) Und freue mich natürlich auf alle Kids und Eltern in Schaffhausen. Das wird wieder ein grossartiger Tag.

100 Meter Sackhüpfen war selbst für Nicola nicht ganz einfach. Muskelkater ist hier garantiert inklusive.
 

DER TRIATHLON-SPIRIT IN DER BABYWIEGE

Was die Leser bestimmt als Nächstes  interessiert, wurde dir der Triathlon schon in die Wiege gelegt? Oder wie wird man überhaupt Triathletin? Gab es Vorbilder?

Ich wuchs in einer „sportlichen“ Familie auf – meine Mutter und mein Vater, mein Grossvater und mein Onkel waren alles Sportlehrer;-) Ich war in der Mädchenriege im Dorf, lange im Basketballclub, im Schwimmclub, bin im Winter viel snowboarden und skifahren gegangen und vieles Weiteres. So haben sie mir vor allem die Freude am Sport mitgegeben. Da mein Vater und mein Onkel hobbymässig Triathlon machten, musste ich dies dann mit 10 Jahren auch probieren und liebte die Vielseitigkeit! Ein gewisses Talent habe ich sicher in die Wiege gelegt bekommen, aber um ganz an die Spitze zu kommen braucht es in allen Sportarten und für alle viel Arbeit und Einsatz!

Dein Vater war auch dein erster Trainer und Motivator. Da steigt die Chance, dass die Familie Spirig vielleicht noch über viele Jahre Olympische Geschichte schreiben wird ;-) Wärst du denn enttäuscht, wenn deine Kinder zum Beispiel bei einer Casting-Show für Supertalente gewinnen würden? Oder Jura studieren?

Ja mein Vater war 15 Jahre lang mein Trainer und machte mich zur Olympionikin! Es ist nicht einfach, eine junge Athletin durch die Pubertät hindurch zu einer erfolgreichen Profisportlerin zu machen, die immer noch Freude am Sport hat – er hat einen super Job gemacht! Und nein, ich bin ganz und gar nicht enttäuscht, wenn meine Kinder keine Profiathleten werden! Für uns absolut das Wichtigste ist, dass sie etwas finden, was ihnen Freude macht. Und wenn sie dies mit Leidenschaft verfolgen und das Beste aus sich machen, dann bin ich sehr stolz – egal, was es ist – von mir aus auch ein Supertalent ;-)

Was könntest du aus deiner Erfahrung einem Kind empfehlen, das Lust am Triathlon hat, um so erfolgreich zu werden wie du?

Lust und Freude am Triathlon zu haben ist die beste Voraussetzung, um erfolgreich zu werden! Natürlich braucht es aber wie schon erwähnt auch sehr viel Arbeit, Einsatz und Zeit, sehr gut zu werden. Es wird gute Zeiten geben, in denen alles wie am Schnürchen läuft, man immer besser wird und die Fortschritte sehen kann. Und dann wird es schwierige Zeiten geben, in welchen man kämpfen und Hindernisse oder Tiefpunkte überwinden muss. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass man sein Ziel nie aus den Augen verliert und weiter daran glaubt und dafür arbeitet. Die schwierigen Zeiten sind jene, in denen man am meisten lernt und die einen schlussendlich zu einer ausserordentlichen Athletin machen. Also, mein Tipp: niemals aufgeben und immer an dir arbeiten. Wenn du das Beste aus dir heraus holst, dann kannst du am Ende sehr stolz auf dich sein!

Und genauso wichtig, was empfiehlst du den Eltern? Die spielen ja eine entscheidende Rolle. Wenn ich an den Powerkids Triathlon denke, habe ich schon mal manchmal das Gefühl, die Eltern sind teilweise sehr übermotiviert.

Die Eltern sind sehr wichtig, um den Kindern den Zugang zum Sport zu ermöglichen und sie zu unterstützen. Ohne ihren Support ist es für ein Kind anfangs sehr schwierig, einen Sport auszuüben. Aber ja, schlussendlich soll es das Kind sein, welches motiviert ist und trainieren bzw. Wettkämpfe machen will, nicht die Eltern. Bei Rennen wie dem Kids Cup geht es wirklich primär um den Spass und die Freude, zu viel elterlicher Ehrgeiz ist fehl am Platz und kann höchstens stören.

Begeisterte Kids und eine KSS voller Freude. Vielleicht ist hier der nächste Olympia-Sieger geboren.
 

Dein Vater war sehr lange dein Trainer. Dann der Wechsel? Wie kann ich mir so einen Umstieg vorstellen. Ist das komplett anders? Neue Trainingsmethoden?

Ja, der Wechsel war ein drastischer Wechsel! Mein Vater hat mich bis nach den ersten Olympischen Spielen trainiert, mich also zur Olympionikin gemacht. Wir beide wussten jedoch, dass, wenn ich noch einen Schritt weiter gehen wollte und nicht nur an den OS teilnehmen, sondern um Medaillen kämpfen wollte, er nicht mehr der richtige Trainer sein würde. Wieso? Er war eben im Gegensatz zu vielen übermotivierten Eltern immer sehr zurückhaltend und zu „lieb“ im dem Sinne, dass er mich nicht an meine Grenzen bringen konnte und wir beide das auch nicht wollten – dafür war uns das Vater-/Tochter-Verhältnis viel zu wichtig! Er hat mich also immer eher gebremst, wenn ich zu viel wollte, als gepusht. Im 2006 wechselte ich zu einem australischen Proficoach. Dieser war als der härteste Triathlon-Coach in der Szene bekannt – also genau das Gegenteil meines Vaters. Auf jeden Fall hatte er sicher nie Probleme, mich an meine Grenzen zu pushen...! Aber was bemerkenswert war: Als erstes schaute er sich meine Trainingstagebücher der vergangenen Jahre an. Und er hat die Grundwerte und die Basics meines Vaters fast überall übernommen, denn er war überzeugt, dass mein Vater grossartige Arbeit geleistet hatte – einfach nicht ganz so hart, wie es für eine Medaille nötig war.

DER STURZ IN ABU DHABI – ALLES KURZ VOR DEM ZIEL

Ein harter Weg, der ja dann in London 2012 zum Olympiasieg führte! Und dann Favoritin 2016 in Rio. Unfassbar war dann für mich dein Sturz im Rennen in Abu Dhabi, 5 Monate vor der Olympiade in Rio. Beim Radfahren gab es einen Fahrfehler einer Konkurrentin und es kam zu einem Massensturz. Ergebnis: Drei Mittelhandknochen waren gebrochen. Wann realisiert man so eine Verletzung? Direkt beim Sturz?

Die ersten Gedanken nach einem Sturz in einem wichtigen Rennen sind: „Kann ich aufstehen? Funktioniert mein Körper noch? Wo ist mein Fahrrad und funktioniert es noch? Kann ich das Rennen beenden?“ Mein Ziel war also, aufzustehen und das Rennen zu beenden. Ich musste nur noch ein paar 100m mit dem Rad fahren. Dort wurde mir klar, dass ich Schmerzen hatte. Ich wollte definitiv noch in die Wechselzone. So würde meine Familie daheim sehen, dass es mir den Umständen entsprechend gut ging. Ich hatte einmal nach einem Sturz von meinem Mann Reto live am TV einmal lange keine weiteren Infos mehr erhalten, das war der absolute Horror. Als ich im Rennen die Laufschuhe anziehen wollte, funktionierte meine linke Hand nicht, und beim Loslaufen waren die Schmerzen so gross, dass ich wusste, etwas stimmt ernsthaft nicht. So beschloss ich, aufzugeben. Erst nach diesem Entscheid kamen Gedanken bezüglich Zukunft. Was die Verletzung genau war, was dies für die Olympischen Spiele heissen würde etc.

Was schiesst einem durch den Kopf, wenn man das Rennen aufgeben muss? Denkt man da an das Olympische Aus? 4 Jahre Vorbereitung für nichts?

Ja, nach der Aufgabe sind dies die weiteren Gedanken. Abklärung durch den Arzt am Wettkampfort, Abklärungen im Krankenhaus von Abu Dhabi, gleichzeitig Kontakt mit dem Verbandsarzt zu Hause und mit dem von diesem kontaktieren Hand-Spezialisten. Und währenddessen immer sehr präsent der Gedanke „Was heisst das für die Olympischen Spiele in ein paar Monaten, mein grosses Ziel?!“

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Wie steht man so was mental durch? Wird man da nicht panisch? Schläft man überhaupt noch?

Der Hand-Spezialist aus der Schweiz, mit dem ich in Abu Dhabi nach den ersten Röntgenbildern im Spital telefonierte meinte, das heisse vier Wochen ruhig halten und kein Sport. Obwohl er der Spezialist bezüglich Hand war, war ich der Spezialist bezüglich Olympische Spiele und ich wusste, dass dies das Aus für Medaillenchancen bedeutet hätte. Also gab ich ihm kurz und knapp zur Antwort, das sei keine Option und er solle nochmals überlegen! Es hat genützt, er kam mit einer anderen Lösung!:-) In den ersten Stunden war da sicher einige Verzweiflung bei mir. Aber es war nicht meine erste Verletzung. Ich wusste, dass nun das einzige, was helfen konnte, war, einen kühlen Kopf zu behalten und sich nur auf die weiteren Schritte zu konzentrieren. Zu überlegen, wie ich das Beste aus der Situation machen konnte und noch gar nicht zu weit zu denken. Ich bin dann um 2 Uhr morgens nach Hause geflogen, ohne Schmerzmittel, um zu spüren, was alles weh tat und keine schlechte Bewegung zu machen. dort habe ich definitiv nicht geschlafen. Am Sonntag weitere Abklärungen, am Montag Operation der Hand mit drei Platten und 23 Schrauben. Es blieb also nicht allzu viel Zeit zum Überlegen.

Wahnsinn. Wer hat dich in diesem Moment am meisten motiviert? Und gab es irgendwelche besonderen Trainingsmethoden?

Ich war sehr froh, dass ich ein Umfeld hatte, auf das ich absolut vertrauen konnte und das mir bei den richtigen Entscheidungen half! Sie haben mich immer wieder motiviert! Sie investieren wie ich extrem viel, damit ich meine Spitzenresultate erreichen kann – jeder von ihnen gibt sein Bestes! Da steht es mir nicht zu, mich gehen zu lassen. Und Rio war immer noch da als Ziel und riesige Motivation.  Ja, wir mussten mit dem Training nach der Operation sehr erfinderisch sein! Spezielle Hand-Gipse zum Radfahren auf der Rolle, Küchen-Schneidbretter als Paddles beim Schwimmen, komplette Änderung von geplanten Trainingslagern und Wettkämpfen etc.

Was für eine Geschichte! Dann das Unglaubliche: Du hast dich in nur 5 Monaten zurückgekämpft und die Reise nach Rio ging los. Glaubt man da noch überhaupt noch an eine Medaille? Oder freut man sich nur noch, dass man überhaupt dabei sein kann?

Der Glaube an eine Medaille ist ganz wichtig! Wenn ich selbst nicht an meine Chancen auf eine Medaille glaube, dann werde ich sie auch nicht gewinnen. Also ja, ich habe auf jeden Fall an einen Medaille geglaubt, auch wenn die Umstände sehr schwierig waren!

NICHT NUR MITHALTEN, SONDERN NACH DER MEDAILLE GREIFEN

Dann das Rennen. Wann hast du gemerkt, dass du nicht nur mithalten kannst, sondern dass es sogar für eine Medaille reichen könnte? Und was ist das für ein Gefühl? Gibt das noch mal Extrakräfte? Wie eine endlos andauernde Gänsehaut? Ein Glücksgefühl?

Ich wusste, dass ich mich in eine super Position geschwommen hatte, als ich aus dem Wasser kam! Erste Gruppe hiess für mich super Resultat! Auf dem Rad fühlte ich mich stark und konnte das Feld kontrollieren. Es war schade, dass mich dort niemand bei einem Ausreissversuch unterstützt hat, trotzdem hatte ich das Gefühl, ich konnte mit meiner Fahrweise viele Athletinnen müde fahren. Auf dem Lauf wollte ich so lange wie möglich an Gwen Jörgensen dran bleiben. Die übrigen Athletinnen liessen alle überraschend schnell abreissen. Für mich hiess dies, dass die Chancen auf eine Medaille sehr hoch gestiegen waren. Das motiviert zusätzlich und gibt mental Kraft. Für Glücksgefühle oder Gänsehaut ist jedoch kein Platz, das Rennen ist erst an der Ziellinie zu Ende und bis dort braucht es absolute Konzentration und Fokus darauf, das Beste zu geben.

Einmal anfassen: die Medaillen von Nicola sind ein Stück Sportgeschichte.
 

Der nächste emotionale Höhepunkt: Du läufst mit um den Olympiasieg in einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Plötzlich verwickelst du deine Konkurrentin in ein Gespräch während des Laufens. So etwas Verrücktes habe ich noch nie gesehen. War das Strategie oder zufällig? Und viel spannender, über was sprechen Frauen bei einem Olympischen Rennen, wenn es um die Goldmedaille geht? Über Schuhe, Kindererziehung, Ehemänner, ...?

Das Gespräch war Taktik. Durch den Sturz in Abu Dhabi konnte ich das Laufen nicht so trainieren, wie es nötig gewesen wäre, um Gwen rein körperlich zu schlagen. Gwen war seit vier Jahren ungeschlagen, wenn sie mit der ersten Gruppe vom Rad stieg! Also wusste ich und hatte mit meinem Trainer besprochen, dass ich Gwen nur schlagen konnte, wenn ich sie irgendwie aus dem Rhythmus oder aus der Fassung brachte, wenn sie zu zweifeln beginnen würde. Ich führte eine Weile, dann liefen wir in den Gegenwind. Ich wollte im Gegenwind nicht führen, da ich sonst bei einem Angriff von ihr danach keine Chance hätte. Also meinte ich zu ihr, wir sollten die Arbeit teilen und sie solle wieder führen ;-) Sie war nicht einverstanden und entgegnete, sie hätte schon die ersten zwei Runden geführt. Meine Antwort: „Ja, aber ich habe schon eine Goldmedaille. Also musst du mehr Arbeit leisten!“. Das Gespräch war wie gesagt mehr da, um sie aus der Fassung zu bringen. Wir sind ja auch plötzlich deutlich langsamer gelaufen, dann wieder schneller, sie konnte nicht ihren Rhythmus durchziehen. Das war alles taktisch. Leider war sie am Ende doch stärker, aber ich kann mit guten Gewissen sagen, dass ich alles versucht und gegeben habe und war deshalb auch so zufrieden und glücklich!

Am Ende gab es einen Zieleinlauf mit sensationeller Silbermedaille – einfach unglaublich. Eigentlich gibt es solche Geschichten nur in Hollywood. Man schaut sich den Kinofilm an und würde sagen: Typisch Hollywood, wieder mal viel zu dick aufgetragen. Aber bei Nicola Spirig ist das Realität. Ist dir diese Leistung so bewusst? Und hast du die Filmrechte schon verkauft?

Es gibt ja eine Doku von meinem Weg nach Rio ;-) Die Leistung im vollen Ausmass wurde mir erst später bewusst. Und ich bin wirklich stolz darauf. Geschafft habe ich dies aber nur Dank der unglaublichen Unterstützung meines ganzen Umfeldes! Es ist grossartig, so etwas gemeinsam erleben zu dürfen!

Liebe Nicola, vielen, vielen Dank für das tolle und sehr eindrucksvolle Interview. Für mich bleibt am Ende eins – lieber Leser: Man darf seine Träume niemals aufgeben. Auch wenn sie einmal unrealistisch erscheinen mögen, muss man weiter mit Überzeugung an sie glauben. Schliesslich versetzt der Glaube Berge. Oder verschafft einem bei den Olympischen Spielen eine sensationelle Silbermedaille. Unglaublich – aber wahr.

Freuen wir uns auf Nicola Spirig am dritten Powerkids Triathlon in Schaffhausen am 10.09.2017 entweder als Teilnehmer, Eltern oder Zuschauer. Sie sind herzlich willkommen!

Ihr Ralph Aichem, SH POWER

Der 3.Powerkids Triathlon mit grosser Unterstützung unserer Gold-Sponsoren:

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