Die Frau als Familienernährerin

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Aus Buben werden Männer, werden Väter – Nicole Althaus findet, dass der Mutterschaftsurlaub durch einen klar strukturierten Elternurlaub ersetzt werden sollte. Bild: Key

Um mehr Frauen im Beruf zu halten, setzt die Journalistin und zweifache Mutter Nicole Althaus nicht auf Frauenquoten, sondern auf ein Umdenken. In Schaffhausen spricht sie darüber, warum die Bildungsoffensive noch keinen Einfluss auf die Berufswelt hatte.

Interview von Alexa Scherrer

Nicole Althaus, nach der Bildungsoffensive hat man in Schulen und Universitäten ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern erreicht – teilweise kippt das Gleichgewicht schon fast auf die Frauenseite. In der Arbeitswelt sieht es ganz anders aus. Wo liegt der Fehler im System?

Nicole Althaus: Der Bildungsoffensive lag die Hoffnung zugrunde, dass, wenn man die Frauen nur gut genug ausbilde, der Rest von alleine komme. Das stimmt aber leider hinten und vorne nicht – gar nichts kommt von allein. Bei den Jobeinsteigern ist noch ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen vorhanden. Sobald aber die Familienfrage kommt, ist alles wieder im Ungleichgewicht. Beim Thema Kinder kommen die grössten Unterschiede zwischen Mann und Frau zum Tragen. Eine 50:50-Verteilung zu erreichen, ist sicher eine Illusion. Und das braucht es auch gar nicht, denn Gleichstellung heisst nicht Gleichschaltung– sondern dass jeder das tun kann, was ihm entspricht. Aber das Ziel muss schon sein, dass Frauen nicht lebenslang dafür bezahlen müssen, dass sie Kinder bekommen können. Wenn man Frauen für teures Geld ausbildet und sie dann in der Familie verschwinden lässt, ist das auch volkswirtschaftlich totaler Blödsinn.

Kinder werden auch weiterhin die Frauen bekommen. Gibt es überhaupt Hoffnung auf Veränderung?

Ein Kind hat immer Mutter und Vater – bei Letzterem liegt die Lösung. Mit unserem System der Mutterschaftsversicherung werden Rollenbilder zementiert: Die Frau fällt sicher vier Monate aus und arbeitet danach meist Teilzeit. Ein Chef kann sich also schon bei der Anstellung ausrechnen, wer dereinst ausfallen wird, der 30-jährige Mann oder die 30-jährige Frau. Wenn man aber einen Elternschaftsurlaub hat, den Mutter und Vater zu ­angemessenen Teilen beziehen, ist der Startnachteil für die Frauen weg.

Ist das etwas, das Männer wollen?

Sicher nicht alle. Darum müsste man den Elternurlaub mit dem Anreiz verbinden, dass es mehr freie Zeit gibt, wenn der Mann einen Teil übernimmt. Aber schon in meiner Generation kenne ich viele Väter, die Teilzeit arbeiten und die von Beginn weg für das Kind gesorgt haben. Zudem kommt mit den Digital Natives jetzt eine Generation ans Ruder, die nicht mehr so arbeiten will, wie wir das noch getan haben. Für sie ist die Work-Life-Balance viel wichtiger – und da spielt die Familie mit rein. Auch Männer haben entdeckt, dass Familie nicht nur Arbeit bedeutet, sondern eine wertvolle Erfahrung ist.

Wie sieht es aus mit der Unterstützung von politischer Seite her?

Der letzte Vorstoss zum zweiwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub wurde abgelehnt. Ehrlich gesagt war ich nicht traurig darüber – ich finde, zwei Wochen bringen nichts. Natürlich gönne ich allen Vätern eine Auszeit nach der Geburt. Aber eine gesellschaftliche Veränderung bringen zwei Wochen nicht. Es braucht einen Elternurlaub, von dem Männer, die zu Hause bleiben möchten, genauso profitieren wie Frauen, die schnell zurück ins Arbeitsleben wollen. Aber das wird Zeit brauchen, in der Schweiz dauert alles sehr lange. Die Mutterschaftsversicherung kam auch erst im dritten Anlauf durch.

Was können die Frauen selbst an der Situation ändern?

Vor allem eins: Frauen planen ihre Familie zu kurzsichtig. Ein Kind ist viereinhalb Jahre daheim – und auf diese viereinhalb Jahre wird oft schon die Berufswahl und anschliessend die ganze Karriere ausgerichtet. Frauen sollten sich vielmehr überlegen, wie ihr Leben aussehen soll, wenn die Kinder in der Schule sind. Davon sollte man ausgehen. Die ersten vier Jahre kann man immer noch etwas zurückschrauben. Umgekehrt ist es sehr viel schwieriger: Wer jahrelang auf kleiner Hitze kocht, hat es viel schwerer, das berufliche Feuer wieder zum Lodern zu bringen.

Können Frauen auch selbst etwas dagegen tun, dass sie weniger verdienen als Männer?

Wenn eine Frau jahrelang Teilzeit gearbeitet hat, hat sie weniger Berufserfahrung als ein gleichaltriger Mann. Das schlägt sich im Verdienst nieder. Kommt dazu, dass Männer in Lohnfragen einen anderen Verhandlungsdruck kennen als Frauen, schliesslich sehen sie sich als Familienernährer. Für Frauen ist der Lohn oft gar nicht so zentral. Das ist eine schlechte Ausgangslage für gute Lohnverhandlungen. Aber es ist nicht unbedingt schlecht, dass andere Jobkriterien genauso wichtig sind wie der Zahltag. Das Hauptumdenken ist an einem anderen Ort gefragt. Auch Frauen müssen sich als Familienernährerinnen sehen. Die heutigen Scheidungsraten sprechen unbedingt dafür. Ich habe die ersten Jahre drei Viertel meines Lohns für die Krippe abgegeben und bin trotzdem nicht kürzergetreten. Ich sah das als Zukunftsinvestition.

Raten Sie das auch Ihren Töchtern?

Die Zeiten, in denen ein Lohn für eine ganze Familie reichte, sind für viele Schweizer bereits vorbei. Ich rate meinen Töchtern deshalb stets dazu, davon auszugehen, dass sie ein Leben lang für sich selbst sorgen. Das sichert jede Familie ab, denn niemand ist mehr gegen Arbeitslosigkeit gefeit. Auch die Zeiten der gradlinigen Lebensläufe sind vorbei. Für beide Geschlechter.

Wir sprechen also gar nicht über Unterschiede zwischen Frauen und Männern – sondern zwischen Müttern und Männern.

Vieles, was wir als Frauenprobleme adressieren, sind eigentlich Elternprobleme. Unsere Arbeitsstrukturen gehen noch immer vom veralteten Modell Ernährer und Hausfrau aus und benachteiligen Menschen, die für Kinder, aber auch für alte Eltern sorgen. Deshalb haben Frauen, die nicht Mutter werden, ähnliche Lebensläufe wie Männer und Väter und machen eher Karriere.

Da hilft also auch keine Frauenquote?

Dazu habe ich ein sehr gespaltenes Verhältnis. Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft per se diskriminierend ist, dass man ihr also Frauen aufzwingen muss. Eine Quote ändert an den Arbeitsstrukturen nichts. Die einzige Chance von Quoten ist, dass man Frauen suchen muss. Diesen Zwang könnte man auch ohne Quote einbringen, etwa indem man jeweils ein Zweierticket zur Wahl stellt. Das Grundproblem, dass es nur wenige weibliche CEOs gibt und noch viel weniger Mütter in den Chefetagen, wird dadurch aber nicht gelöst.

Es bleibt Frauen weiterhin nichts anderes übrig, als sich zwischen Kindern und Karriere zu entscheiden?

Ich hoffe sehr, dass sich das ändern wird – zumindest für diejenigen, die eine moderate Karriere anstreben. Wirklich Karriere machen letztlich nur wenige Menschen. Die meisten arbeiten einfach. Eine Karriere ohne Verzicht gibt es nicht, weder für Männer noch für Frauen. Vielleicht muss man nicht mal auf Kinder verzichten – braucht dann aber eine 100-Prozent-Nanny. Da muss man sich nichts vormachen: Wenn man an die Spitze will, klappt das nicht mit einem 50-Prozent-Pensum.

Wo sehen Sie bei den Firmen Nachholbedarf, um mehr Frauen – auch für moderate Karrieren – an Bord zu holen?

Eine Idee, die derzeit in der Forschung und an Kongressen diskutiert wird, sind sogenannte blinde Bewerbungen, bei denen die Firmen nicht wissen, ob der Kandidat männlich oder weiblich ist, wie alt er ist oder woher er kommt. Und beim Jobinterview sollte das Gespräch bei jedem Bewerber gleich ablaufen. Bei jedem sollten sich die Firmen strikt an einen Fragenkatalog halten. Sonst verliert man sich schnell wieder in geschlechterspezifischen Vorurteilen, denn zwei Männer haben sich anderes zu erzählen als zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau. Ein identischer Fragenkatalog sorgt für ein gerechteres und geschlechtsunabhängigeres Auswahlverfahren.

Beeinflusst das Geschlecht die Wahl auch unbewusst?

Wir alle haben versteckte Vorurteile im Kopf. Jeder hat gewisse oft unreflektierte und unbewusste Ideen, wie ein Mann sich verhält und wie eine Frau. Von einem Mann erwartet man Durchsetzungsfähigkeit, von einer Frau eher emotionale Entscheidungen. Und diese Ideen passen zu gewissen Positionen und Berufsbildern. Das hat auch für einen Mann negative Auswirkungen. Dann, wenn man etwa denkt, ein Mann sei nicht empathisch genug, um im Kinderhort zu arbeiten. Die Schweizer Verhaltensökonomin und CS-Verwaltungsrätin Iris Bohnet steigt in ihrem Buch «What Works» mit dem Beispiel eines US-amerikanischen Orchesters ein, das bisher hauptsächlich Männer engagierte. Als das Vorspielen folglich hinter einem Vorhang stattfand, sassen in diesem Orchester innert kürzester Zeit 50 Prozent Frauen.

Nicole Althaus: Mutter, Journalistin, Kolumnistin

Die Referentin: Nicole Althaus (48) studierte Kunstgeschichte und Germanistik. Ihre journalistische Laufbahn umfasst mehrere Stationen, sie lancierte unter anderem den Mamablog für Newsnetz/tagesanzeiger.ch und war Chefredaktorin des Magazins «Wir ­Eltern». Derzeit ist sie Leiterin Magazine und Mitglied der erweiterten Chefredaktion der «NZZ am Sonntag». Dort schreibt sie auch regelmässig ihre Kolumne «51 Prozent». Althaus ist Mutter zweier Töchter (13 und 17) und lebt in Zürich.

Das Referat: Auf Einladung des Kanti-Vereins kommt Nicole Althaus am Mittwoch, 1. März, nach Schaffhausen. Um 19.30 Uhr spricht sie in der Mensa der Kantonsschule zum Thema «Das falsche Versprechen der Frauenförderung oder warum Frauenförderung in der Bildung nicht hält, was sie verspricht».

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