Weniger Föderalismus bei IV-Renten und Wiedereingliederung

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Der Dachverband der Schweizer Psychiaterinnen und Psychiater fordert eine Gleichstellung von körperlichen und psychischen Krankheiten – in der Gesellschaft, in der Politik und durch Kostenträger. Bild: Key

Am internationalen Tag der psychischen Gesundheit forderte der Dachverband der Schweizer Psychiater mehr Gleichstellung und Fairness für psychisch kranke ­Arbeitnehmer.

von Pierre Vallon

Der internationale Aktionstag der psychischen Gesundheit rückte dieses Jahr die Zusammenhänge zwischen Psyche und Erwerbstätigkeit in den Fokus. Damit soll der Stigmatisierung von psychisch kranken Arbeitnehmern entgegengewirkt werden. Laut internationalen Erhebungen erkrankt jede zweite Person irgendwann in ihrem Leben an einer psychischen Störung. Diese Leiden haben verschiedene Gesichter: Sie können sich als Angst, Depression, Persönlichkeitsstörung oder als körperliche Beschwerden zeigen. Psychisch Kranke leiden nicht nur an umschriebenen Symptomen und Problemen; die Krankheit beschränkt die Lebensqualität und die Leistungsfähigkeit, was zu Arbeitsunfähigkeit und Stellenverlust führen kann. Soziale Isolation und auch Suizid können mögliche Folgen sein. Derzeit sind psychische Erkrankungen die viert-häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Tendenz steigend. Vier von zehn Berentungen erfolgen deswegen.

In der Behandlung von psychischen Störungen wird oft eine Psychotherapie mit einer medikamentösen Behandlung kombiniert. Ein integrierter Ansatz, der Zeit braucht, dadurch aber an Wirksamkeit gewinnt. Die psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung beinhaltet dazu einen sozioprofessionellen Teil, wie etwa die Abklärung der Arbeitsfähigkeit oder die Beratung bezüglich Wiedereingliederungsmassnahmen oder einer Invaliditätsrente. Viele Arbeitgeber wissen aber wenig über psychische Erkrankungen. So ist die Zusammenarbeit mit psychisch kranken Mitarbeitenden für Chefs und Teams eine Herausforderung – oft eine Überforderung. Sie benötigen Beratung, unter anderem um Unterstützungsstrategien für den Umgang mit Betroffenen zu erarbeiten oder einen Wiedereinstieg gut zu begleiten. Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen, denn bei ihnen geht es bereits früh um schulische Laufbahnen oder den Einstieg ins Berufsleben. Psychiater haben hier eine wichtige Rolle, denn sie behandeln, beraten, stellen die Verbindung zur IV-Stelle sowie die Teilnahme an Integrationsprogrammen sicher und begleiten Betroffene und weitere Be-teiligte.

Diese wichtige Aufgabe der Psychiatrie an der Schnittstelle zwischen Behandlung und Erwerbstätigkeit gerät zunehmend unter Druck. Zum einen setzt die aktuelle IV-Revision zwar auf die berufliche Reintegration, die Vernetzungsarbeit aller beteiligten Fachpersonen benötigt. Der aktuelle Tarif­eingriff des Bundesrates und andere, nicht zu Ende gedachte Sparbemühungen stellen deren Finanzierung aber ­infrage. Zum anderen wirken die Nachteile der föderalistischen Struktur des Schweizer Gesundheitswesens, denn die Handhabung von Berentung und Wiedereingliederung unterscheidet sich je nach Kanton. Die Schweizer IV-Stellen sind zwar dem Bundesamt für Sozialversicherungen unterstellt, funktionieren aber kantonal verschieden. Wird nun ein psychisch Kranker im Kanton Waadt oder im Kanton Zürich wegen seiner Erkrankung dauerhaft arbeitsunfähig, sind Leistungen und Angebote verschieden. Ein unhaltbarer Zustand, findet die FMPP – der Dachverband der Schweizer Psychiaterinnen und Psychiater. Es braucht eine Gleichstellung von körperlichen und psychischen Krankheiten – in der Gesellschaft sowie auch durch Politik und Kostenträger. Der Verband fordert deshalb weniger Föderalismus und mehr Fairness und Einheitlichkeit für psychisch kranke Arbeitnehmer.

Pierre Vallon ist Präsident der FMPP – der Dachorganisation der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärzte der Schweiz.

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