Das Auto bleibt wichtig

Zeno Geisseler Zeno Geisseler | 
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Rund zwei Drittel der Wege in der Schweiz werden mit dem Auto bewältigt, der öffentliche Verkehr kommt auf rund ein Viertel. Im Schnitt sind die Leute pro Tag 90,4 Minuten unterwegs und legen pro Jahr eine Strecke von 24 849 Kilometern zurück. Dies besagt eine Studie des Bundesamts für Statistik, welche diese Woche veröffentlicht worden ist.

Solche Aussagen sind wie immer mit einer gewissen, um nicht zu sagen grossen, Zurückhaltung zu lesen. Denn die Resultate basieren auf einer Umfrage, bei der nicht ganz 60 000 Leute am Telefon mal eben spontan Auskunft geben mussten zu Fragen wie dieser: «Bitte sagen Sie mir, wie häufig Sie in den letzten zwölf Monaten im Stau gestanden sind: a) auf Ihrem Weg zur Arbeit oder Ausbildung, b) auf Einkaufswegen, c) auf Freizeitwegen (exkl. Ferien), d) auf Ferienreisen (Inland).» Weiss irgendjemand wirklich noch, was er genau im letzten Mai machte, geschweige denn, wohin er fuhr und ob da der Verkehr mal ein paar Minuten nicht rollte?

Da scheint es auch wenig sinnvoll, basierend auf solchen Fragen die tägliche Reisezeit auf Zehntelminuten, das heisst auf sechs Sekunden genau, zu berechnen und die Jahreswegstrecke – inklusive allfälliger Langstreckenflüge – mit einer Präzision von 1000 Metern anzugeben. Oder haben die Bundes­statistiker für jeden Flug bei der Airline nachgefragt, wie der Jetstream an diesem Tag wehte, welche genaue Route geflogen wurde und ob der Flieger vor der Landung vielleicht noch zwei Warteschlaufen drehte? Kaum.

Wer Bus fahren will, braucht manchmal viel Zeit

Und doch ist die Studie nicht wertlos. Die Sekunden und Meter und Stellen hinter dem Komma kann man zwar vergessen, aber die Gesamtaussage ist plausibel: dass das Auto nach wie vor das wichtigste Verkehrsmittel ist. Dies für die tägliche Arbeit, aber auch nach Betriebsschluss: Nicht ganz die Hälfte der Tagesdistanzen (mit allen Verkehrsmitteln) entfällt auf die Freizeit, davon wiederum legen wir rund zwei Drittel mit dem Auto zurück.

Es ist keine Überraschung, dass das Auto nach wie vor so wichtig ist. Es gibt zwar Strecken, da schlägt der Zug das Auto klar (etwa Schaffhausen–­Basel Badischer Bahnhof), doch manchmal ist der ÖV selbst auf innerstädtischen Strecken keine Option. Ein ­Beispiel: In der Stadt Schaffhausen sind es von der Haltestelle Alpenblick bis zum Einkaufszentrum in Herblingen drei Kilometer. Mit dem Privatauto schafft man die Strecke in sechs Minuten. Und mit dem Bus? Da sind es geschlagene 24 Minuten, viermal länger als mit dem Auto. Natürlich könnte man für die drei Kilometer das Velo nehmen, dann wäre man in etwa zehn Minuten beim Einkaufszentrum. Nur ist das Zweirad für den Wochenendeinkauf mitsamt Familie nur bedingt geeignet.

Auch mit Elektroautos verschwindet der Stau nicht

In vielen Fällen bleibt das Auto also das praktischste und schnellste Verkehrsmittel – aber nicht unbedingt das günstigste und auch nicht das um­weltfreundlichste. Doch zumindest in Umweltfragen tut sich etwas. Seit Jahren geht der Durchschnittsverbrauch zurück, und Elektroautos, heute noch Exoten, könnten früher oder später zum Alltag auf den Strassen werden. E-Autos können allerdings das vielleicht grösste Verkehrsproblem von allen auch nicht lösen: Auf den Strassen geht der Platz aus. Ein Stau wird ja nicht kürzer, nur weil dort alles Teslas stehen. Doch auch in dieser Frage könnte die Technologie Probleme lösen. Selbstfahrende Autos können mit geringeren Abständen fahren und somit die Verkehrsdichte erhöhen. Ob wir uns autonomen Autos wirklich anvertrauen sollten, ist allerdings eine andere Frage.

Politisch chancenlos sind andere Varianten, um die Verkehrsbelastung zu senken. Spitzenpreise zu Spitzen­zeiten, zum Beispiel. In der Theorie werden so Anreize geschaffen, um den Dichtestress zu reduzieren: Wer später fährt, fährt günstiger. In der Praxis haben solche Lenkungsabgaben aber oft keinen Effekt, weil viele Angestellte ihre Arbeitszeiten gar nicht frei planen können. Das Gleiche gilt für Studierende und sogar für die Freizeit: Niemand würde einen Fussballmatch oder eine Theateraufführung um drei Uhr morgens ansetzen, nur weil dann die Strassen und Züge leerer sind.

Alles in allem wird die Schweiz die Frage der Mobilität auch weiterhin beschäftigen. Sicher ist: Dem Auto wird auch in den kommenden Jahren eine ganz zentrale Rolle zukommen.

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